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Der Schneider

Der Schneider

Titel: Der Schneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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mir ganz neu«, sagte Johnson, der in letzter Zeit mit zunehmender Verwirrung feststellen mußte, wie sich das nachrichtendienstliche Rohmaterial aus Panama auf dem Schreibtisch seines Vorgesetzten immer weiter aufblähte.
    Andererseits besaß Johnson keine unbeschränkte Zugangsberechtigung – am allerwenigsten zu Luxmores Inspirationsquellen. Wenn Luxmore eine seiner berüchtigten knappen Zusammenfassungen zur Vorlage bei seinen geheimnisvollen Planern & Anwendern formulierte, ließ er sich aus dem Archiv einen Berg streng geheimer Akten kommen und schloß sich damit in seinem Zimmer ein, bis das Dokument geschrieben war – dabei bezogen sich diese Akten, wie Johnson feststellte, als er sich durch raffinierte Manöver Zugang verschaffte, lediglich auf längst vergangene Ereignisse wie etwa die Suezkrise von 1956 und keineswegs auf irgendwelche Dinge, die jetzt geschahen oder für die Zukunft erwartet wurden.
    Luxmore benutzte Johnson als Testpublikum. Manche Menschen, lernte Johnson, können ohne Zuhörer nicht denken.
    »Das Schwierigste, Johnny, womit sich ein Dienst wie der unsere zu befassen hat, ist die öffentliche Meinung, bevor sie sich gerührt hat, die vox populi , bevor sie gesprochen hat. Denken Sie an den Iran und den Ajatollah. Denken Sie an Ägypten im Vorfeld der Suezkrise. Denken Sie an die Perestroika und den Zusammenbruch des Reichs des Bösen. Denken Sie an Saddam, einen unserer besten Kunden. Wer hat sie kommen sehen, Johnny? Wer hat sie wie schwarze Wolken am Horizont aufgehen sehen? Wir nicht. Denken Sie an Galtieri und die Falkland-Krise, mein Gott. Es ist immer wieder dasselbe: unser nachrichtendienstlicher Vorschlaghammer knackt jede Nuß, nur nicht die eine, auf die alles ankommt: das menschliche Rätsel.« Er ging wieder im gewohnten Tempo hin und her, im Takt zu seinen schwülstigen Worten. »Aber genau das werden wir jetzt knacken. Diesmal können wir schneller sein. Wir haben die Basare verkabelt. Wir kennen die Stimmung der Massen, ihre unbewußten Pläne, ihre verborgenen Siedepunkte. Wir können Vorsorge treffen. Wir können die Geschichte austricksen. Sie aus dem Hinterhalt überfallen …«
    Er griff so schnell zum Telefon, daß es kaum Zeit zum Klingeln hatte. Aber es war nur seine Frau, die wissen wollte, ob er wieder einmal ihre Autoschlüssel eingesteckt habe. Luxmore gestand die Tat kurz und bündig, legte auf, zog sich an den Rockschößen und begann wieder auf- und abzugehen.
     
    Man entschied sich für Geoff s Haus, weil Ben Hatry es empfohlen hatte, und schließlich war Geoff Cavendish ja Ben Hatrys Geschöpf, auch wenn die beiden es für klug hielten, das nicht auszuposaunen. Und daß man sich für Geoffs Haus entschied, war auch deshalb berechtigt, weil die Idee ursprünglich von ihm stammte, jedenfalls in dem Sinne, daß Geoff Cavendish den ersten Schlachtplan entworfen und Ben Hatry dazu nur gesagt hatte: Dann machen wir den Scheiß halt so – solcher Ausdrucksweise befleißigte sich Ben Hatry gern; als großer britischer Medienzar und Arbeitgeber zahlloser verschüchterter Journalisten hatte er eine natürliche Abneigung gegen seine Muttersprache.
    Denn Cavendish hatte Hatrys Fantasie beflügelt, falls Ben Hatry so etwas wie Phantasie besaß; Cavendish hatte die Sache mit Luxmore eingefädelt, ihn ermutigt, seinen Etat und sein Ego gestärkt; Cavendish hatte mit Zustimmung Hatrys die ersten kleinen Essen und inoffiziellen Besprechungen in teuren, unweit des Parlaments gelegenen Restaurants organisiert, die richtigen Abgeordneten, freilich nie in Hatrys Namen, bearbeitet, er hatte die Karte ausgebreitet und ihnen gezeigt, wo dieses verdammte Land überhaupt lag und wo und wie der Kanal verlief, weil die Hälfte von ihnen nur nebelhafte Vorstellungen davon hatte; Cavendish hatte in London und bei den Ölgesellschaften dezent Alarm geschlagen und sich, was für ihn kein Kunststück war, an die vertrottelte konservative Rechte herangemacht und all die Weltreichträumer, Eurogegner, Negerhasser, pauschalen Fremdenfeinde und verirrten, ungebildeten Kinder umworben.
    Cavendish hatte die Vision von einem Kreuzzug in letzter Minute vor der Wahl heraufbeschworen, von einem Tory-Phönix aus der Asche, einem neuen Kriegsgott, einem Führer in glänzender Rüstung, die diesem bis jetzt aber scheinbar stets zu groß gewesen war; Cavendish hatte sich mit derselben Masche, nur mit einer anderen Sprache an die Opposition herangemacht – keine Sorge, liebe Leute, ihr sollt weder

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