Der Schock: Psychothriller (German Edition)
blinken, den Blick starr auf die Straße gerichtet.
»Danke«, sagte Jan leise.
»Klar. Ich hab doch nur noch einen kleinen Bruder.«
Er schluckte.
Am Straßenrand flogen ein paar Bäume vorbei.
»Glaubst du, er versucht es wieder?«, fragte Katy.
Er schwieg. Weigerte sich, es auszusprechen.
»Jan?«
»Hm?«
»Ist sie dir so wichtig?«
»Ich kann jetzt nicht aufhören.«
»Also ja«, stellte Katy fest.
»Ja. Ist sie.«
»Ihr kennt euch doch kaum.«
»So fühlt es sich aber nicht an.«
Katy seufzte. »Aber du weißt schon, dass du nicht schuld daran bist, dass sie verschwunden ist, oder?«
Jan nickte.
»Genauso wenig wie an dem Unfall damals. Oder Mutters Verschwinden.«
Jan nickte wieder.
Sie fuhren an einem bleigrauen See vorbei, der auf dem Navi blau erschien.
»Was willst du jetzt tun?«, fragte Katy.
»Ich hab da so eine Idee«, murmelte er, griff in seine Jackentasche und zog Lauras Telefon hervor. »Aber zuerst rufe ich mal diese Psychologin an.«
»Welche Psychologin?«
»Die, die Nolte früher behandelt hat.«
Kapitel 34
Berlin, 21. Oktober, 17:49 Uhr
»Mist. Anrufbeantworter«, knurrte Jan halblaut. Er hinterließ Lauras Telefonnummer und eine dringende Bitte um Rückruf. »Wäre ja auch zu schön gewesen.« Er starrte durch die Windschutzscheibe. Inzwischen waren sie wieder auf der Autobahn Richtung Berlin, und es begann zu nieseln.
»Und deine Idee?«, fragte Katy.
»Hm?«
»Du hast eben noch gesagt, du hättest eine Idee.«
Jan nickte abwesend. »Vielleicht eher einen Gedanken«, sagte er gedehnt. »Mal angenommen, dieser Psychopath hat tatsächlich Albinismus –«
»Ich dachte, du bist dir sicher?«
»Ja, ja. Bin ich im Grunde auch«, sagte er unwirsch. »Also, sagen wir mal, er hat Albinismus … und sagen wir weiter, er hat keine Tattoos im Gesicht, sondern er schminkt sich diese schwarzen Ornamente nur … was sagt uns das über ihn?«
»Er will nicht erkannt werden.«
»Hm. Vielleicht. Aber wäre es dann nicht schlauer, sich so zu schminken wie jemand, der normal aussieht? Jemand, der in der Menge untergeht? Ich glaube eher, dass er nicht er selbst sein will. Er will jemand anders sein. Er über malt sich. Das ist, als erfindet er sich neu.«
»Du meinst, er will sich gar nicht verstecken?«
»Doch. Will er. Er versteckt sich ja. Indem er jemand anders wird.«
»Das klingt ganz schön abgefahren«, murmelte Katy.
»Und ich bin mir sicher, das ist nicht erst seit gestern so. Solche Störungen bilden sich meistens schon in der Kindheit und der Pubertät«, fuhr Jan fort. »Und weißt du, was das bedeutet?«
»Ehrlich gesagt, nein.«
»Stell dir so jemanden in der Schule vor! Ein Kind, das an Albinismus leidet, sticht ja ohnehin schon heraus, aber wenn es zudem auch noch verhaltensauffällig ist? Er war mit Sicherheit ein Sonderling. Wahrscheinlich ist er auch gemobbt worden. Egal, an welcher Schule er war, er ist auf jeden Fall sehr aufgefallen.«
»Du glaubst, wir finden ihn über die Schule?«, fragte Katy skeptisch.
»Wir haben Schulpflicht in Deutschland. An irgendeiner Schule muss er gewesen sein.«
»Aber an welcher? Wir können doch schlecht alle Schulen in Deutschland abklappern.«
»Ich könnte mir vorstellen, dass es reicht, sich auf Berlin zu konzentrieren«, meinte Jan. »Und einer meiner Kollegen aus dem Studium arbeitet beim Schulpsychologischen Dienst in Berlin. Das ist die zentrale Anlaufstelle für solche Fälle.«
Einen Moment lang sagte Katy nichts.
Jan sah sie von der Seite an. »Was denkst du?«
»Hast du seine Telefonnummer?«
»Leider nicht. Wir sollten dort vorbeifahren. Am besten jetzt.«
Katy warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Hast du mal auf die Uhr geguckt? Das ist ein Amt. Die haben Öffnungszeiten.«
Jan sah auf die Uhr und fluchte. Kurz vor sechs. Mit Öffnungszeiten hatte er es nicht so. Sowohl in der Marktforschung als auch in der Werbung war es immer selbstverständlich gewesen, bis spätabends zu arbeiten.
Er nahm Lauras Handy, rief die Auskunft an und ließ sich weiterverbinden. Eine tiefe rauchige Frauenstimme meldete sich: »Schulpsychologischer Dienst Berlin, Küttner, guten Abend.«
»Guten Abend, Floss ist mein Name. Ich würde gerne Eckhard Bär sprechen.«
»Tut mir leid, er ist schon aus dem Haus. Kann ich Ihnen helfen?«
»Ähm. Ich … bin nicht sicher. Ja, vielleicht. Im Rahmen meiner Doktorarbeit mache ich eine Untersuchung über Menschen mit Albinismus«, log er. Katy warf ihm einen
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