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Der Schönheitschirurg

Der Schönheitschirurg

Titel: Der Schönheitschirurg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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Katheterisierens. Eine Woche, nachdem Lord Cazalays Flucht Schlagzeilen gemacht hatte, lautete das neue Testament unverändert, als der Professor bei sehr schlechter Laune in seinem Messingbett starb. Nach einem Leben der Sparsamkeit und klugen Investitionen hatte er nicht weniger als dreißigtausend Pfund hinterlassen. Graham und Robin erhielten je tausend Pfund, der Rest ging an die Witwe.
    Sie machte sich an das Haus in Hampstead, wo sie in einem Stil zu leben gedachte, der das Opfer doppelter Witwenschaft entschädigen sollte. Das Haus wurde wiederum neu eingerichtet, alle medizinischen Bücher und das medizinische Mobiliar wurden hinausgeworfen und bei einer Versteigerung verschleudert. Sie holte Sibyl aus Southsea zurück. Mutter und Tochter waren sich einig, daß das Haus mit all den gräßlichen Mahnungen an die Vergänglichkeit, die überall herumlagen, zu Lebzeiten des Professors wirklich jede gesunde Frau das Gruseln hatte lehren können.

20

    1930 war Grahams neue Abteilung in Blackfriars schon so gut eingearbeitet, daß er zuversichtlich darangehen konnte, sie der Öffentlichkeit vorzustellen. Er veranstaltete daher einen Kongreß für plastische und HNO-Chirurgie mit Demonstrationen am Patienten und Operationen. Es sollte der größte Augenblick in Grahams Karriere werden.
    Er hatte sechs Jahre gebraucht, um in Blackfriars heimisch zu werden, und war zu dem Schluß gekommen, daß es nicht besser und nicht schlechter war als jedes andere große Krankenhaus. Die Fachärzte ließen den Armen von London die gleiche Behandlung angedeihen wie den Reichen - oft sogar eine bessere, da jedes Krankenhaus die eleganten Privatkliniken im West End mit ihren unzulänglichen Einrichtungen und hohen Rechnungen weit übertraf. Die Patienten kamen zum Großteil aus Islington und Shoreditch in Umhangtüchern und Kordsamt, mit ihren Symptomen, ihren Proben, ihren vielen Kindern und oft auch unsichtbaren Begleitern beladen, gegen die sich die Ärzte ostentativ in lange weiße Mäntel knöpften. Die Spezialisten behandelten ihre Patienten so gütig wie Tolstois aufgeklärter Konstantin Dmitritsch Lewin seine Leibeigenen. Aber ihre Welten konnten sich nur in der Krankheit treffen, und selbst die wurde eher als Eigentum des Arztes als des Patienten angesehen, da man nur wenige für intelligent und gebildet genug hielt, um sie in das Geheimnis ihrer Leiden einzuweihen. Auch konnten die Nutznießer einer Gratisbehandlung nicht den Komfort zahlender Patienten erwarten. Blackfriars fügte zur Schwächung durch die Krankheit die ärmliche Atmosphäre eines Arbeitshauses und die Disziplin einer Kaserne. Abgesehen davon, daß sie stundenlang auf langen, harten Bänken im Gestank starker Desinfektionsmittel sitzen mußten, bevor überhaupt etwas geschah, wurde die Minderwertigkeit noch von tyrannisierenden Portiers und kurz angebundenen Schwestern betont, die nach jahrelangem Umgang mit eingeschüchterten, verwirrten Menschen gefühllos geworden waren. Die Patienten nahmen es mit demselben Stoizismus hin wie alles andere im Leben. Wenn jeder zweite Nachbar arbeitslos war, blieb einem nichts anderes übrig.
    Die Chefärzte regierten ihre kleinen Königreiche und hatten untereinander so viele Reibereien wie die Balkanstaaten vor dem Kriege. Wie Sir Horace vorausgesehen hatte, war ein Plastikchirurg ein Außenseiter, sogar irgendwie eine Abnormität. Grahams Egoismus machte ihn ohnedies zum Neutralen in der Politik des Krankenhauses. Sogar physisch war er isoliert, nämlich in dem neuen Arlott-Flügel, der das alte Backhaus des Spitals verdrängt und dadurch die Schaben und Mäuse gezwungen hatte, sich neue Behausungen zu suchen. Er wurde nicht von Studenten beansprucht, die keinen Grund sahen, ihre Zeit mit plastischer Chirurgie zu verschwenden, da sie nie in den Prüfungen gefragt wurde. Er hatte einen Turnusarzt gemeinsam mit der Orthopädie, verfügte aber über einen eigenen Oberarzt, Tom Raleigh, einen kleinen, dunklen, plumpen jungen Mann mit winzigen Händen und Füßen, dessen maulwurfsartige Erscheinung mit dem blinden Eifer übereinstimmte, mit dem er Graham in allem folgte. Es gab eine Schwester, die für das Dutzend Betten verantwortlich war, eine Operationsschwester und einen Mechaniker mit einer Drehbank für die Knochenspäne und Prothesen. Graham machte die Skizzen zum Großteil selbst, hatte aber einen Berufsfotografen zugezogen.
    Grahams Privatpraxis war enttäuschend, die meisten Patienten gingen zu etablierten

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