Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
den Namen Amanda Leycross zu nennen, ihn in das einzuweihen, was er vorhatte und was Radick seiner Meinung nach unternehmen sollte, falls alles fürchterlich danebenging – sagte nichts. Radick würde nur versuchen, ihn von seinem Plan abzubringen, und das wollte Parrish auf keinen Fall. Es ging nicht mehr um die Frage nach dem Ob , sondern nach dem Wann . Heute Nacht, morgen Nacht, auf jeden Fall vor Montag. Wie er Marie Griffin erklärt hatte, brauchte er bloß einen Tag, um alles unter Dach und Fach zu bringen. Was er vielleicht hätte hinzufügen sollen, war, dass die ganze Angelegenheit zu einem Ende kommen würde, und zwar so oder so . Dann allerdings hätte sie ihn gefragt, was er damit meinte, und sich in seine Gedankengänge hineingewühlt, wie sie es während der vergangenen zweieinhalb Wochen immer wieder getan hatte. Eigentlich kam es ihm schon viel länger vor. Wie ein Monat, zwei Monate, sechs Monate. Wie eine Ewigkeit. Die Dinge hatten sich verändert, ganz ohne Zweifel.
Inzwischen begriff er, wie viel von seinem Vater er während all dieser Jahre mit sich herumgeschleppt hatte. Er begriff, wie wenig er Clare und die Kinder verstanden hatte, ihre Bedürfnisse. Wie sehr er versagt hatte, wenn es darum ging, sie ihnen zu erfüllen. Er hatte auch zu begreifen begonnen, dass das Leben eine gemeinschaftliche Angelegenheit war. Im Alleingang war es nicht zu meistern, jedenfalls nicht, wenn man es so anpackte, wie er es getan hatte.
Er war nicht so selbstsüchtig, sich einzureden, dass die Menschen, die er kannte, ohne ihn besser zurechtkämen. Solches Denken verriet bloß Selbstmitleid und Oberflächlichkeit. So etwas erzählte man anderen, wenn man von ihnen gründlich bemitleidet werden wollte. Nein, er dachte nicht so. Er glaubte, dass die Menschen, jedenfalls in der Regel, mit ihm besser zurechtkamen – Fremde, zum Beispiel; er konnte gut mit Fremden umgehen. Und mit den Toten auch. Er war zäh und verbissen genug, um den Tod eines Fremden zu etwas Bedeutungsvollem zu machen. Der alte Spruch: Mein Tag beginnt, wenn Ihrer endet – d avon war er inzwischen überzeugt. Die Zeit mit Marie Griffin hatte ihm ein Gefühl des Gleichgewichts gegeben, eine Akzeptanz seines kleinen, aber wichtigen Platzes im Großen und Ganzen. Was den aktuellen Fall betraf, so irrte er sich nicht. Er selbst jedenfalls hegte daran keinen Zweifel mehr. Und falls er doch danebenlag, nun – wie er Radick unmissverständlich versprochen hatte: Falls er danebenlag, machte es nicht das Geringste aus, weil er seinen Job dann nicht mehr ausüben würde. So einfach war das.
Um halb sechs Uhr forderte er Radick auf, für den heutigen Tag Schluss zu machen.
»Nur wenn Sie auch nach Hause gehen«, erwiderte Radick.
»Das tue ich«, erklärte Parrish. »Ich haue ab, ich habe genug. Nächste Woche legen wir mit der Frühschicht wieder los … nicht dass die Schichten wirklich etwas bedeuten würden. Jedenfalls bleibt uns das Wochenende.«
»Mann, darauf habe ich mich wirklich gefreut.«
»Haben Sie irgendwelche Pläne?«
Radick schüttelte den Kopf. »Nichts Spezielles. Essen, schlafen, fernsehen, wieder essen, wieder schlafen. Es waren beschissene vierzehn Tage, und ich muss meine Batterien wirklich wieder aufladen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Parrish lächelte verständnisvoll. »Ich weiß ganz genau, was Sie meinen. Dann bis Montag, Jimmy.«
»Machen Sie es gut, Frank.«
Parrish schaute ihm nach und wartete, bis er Radicks Wagen den Parkplatz verlassen und in die Fulton Street einbiegen sah. Tief im Inneren war ihm klar, dass Jimmy sich am Wochenende mit Caitlin treffen würde. Und genauso klar war ihm, dass er nichts daran ändern konnte …
Parrish wollte gerade zur Tür hinaus, als das Telefon klingelte. Er betrachtete den Apparat, zögerte. Aber schließlich war es sein Schreibtisch, was nur bedeuten konnte, dass die Zentrale ihm einen Anruf durchstellen wollte. Erickson? Vielleicht Radick, der von seinem Handy aus anrief, weil ihm noch ein Gedanke gekommen war? Parrish machte kehrt und nahm den Hörer ab.
»Frank, sind Sie das?«
»Ja, was ist los?«
»Ein Priester ist auf dem Weg zu Ihnen. Tut mir leid, ich konnte ihn nicht aufhalten. Er fragte, ob Sie oben sind, und ich sagte Ja. Dann war er schon weg, ohne dass ich eine Chance hatte, ihn zurückzuhalten.«
»Oh, um Gottes willen …«
»Missbrauchst du den Namen des Herrn, Frank?«
Parrish drehte sich zu der Stimme hinter seinem Rücken um. In der Tür
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