Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
Verbrechen Polizei und Gerichte infiltriert hatte, war atemberaubend. Beim NYPD allein arbeiten rund vierzigtausend Polizisten, die alle auf Verbrechen reagieren und nicht prophylaktisch potenzielle Verbrechen bekämpfen. Das ist Aufgabe der Feds, die sich aber wiederum nur mit Fällen von Spionage, Sabotage, Entführung, Bankraub, Drogenhandel, Terrorismus und Bürgerrechtsverletzungen beschäftigen dürfen. Sollten zwischendurch mal ein oder zwei Morde passieren, dann müssen die ermittelnden Beamten der NYPD -Mordkommission schon belastbare Beweise dahingehend zutage fördern, dass der Mord in irgendeiner Weise mit einem Verbrechen der genannten Kategorien zusammenhängt; sonst brauchen sie an FBI-Unterstützung nicht mal zu denken.
Nun gut, der Mafia war all das bekannt, und was die Gangster nicht sowieso schon wussten, bekamen sie leicht heraus. Sie wussten, dass die Bezirksanwälte nicht miteinander kooperierten, und luden ihre Opfer jenseits der jeweiligen Bezirksgrenze ab. Ein blödsinniger Papierkrieg über die Frage, welcher Staatsanwalt nun für eine bestimmte Leiche zuständig war, konnte eine Ermittlung monatelang blockieren. Und dann entschied ein von der Mafia gekaufter Richter, den Fall überhaupt nicht zur Anklage zu bringen, weil NYPD und das Büro des Staatsanwalts den Angeklagten in unnötiger Weise belästigt und schikaniert hätten … Manches von dem, was damals passiert ist, mag man einfach nicht glauben.
Wie auch immer, in den 1980ern wurden all diese Strafverfolgungsbehörden endlich klüger und fingen an, ihren Kram zusammenzuschmeißen. Rudy Giulianis Karriere begann 1970 im Büro des Bundesanwalts im südlichen Distrikt. Drei Jahre später wurde er Chef der Drogenabteilung, und 1975 stieg er bei den Demokraten aus und arbeitete als Unabhängiger für Gerald Ford. Anschließend wechselte er in eine Anwaltskanzlei. Als Reagan 1980 gewählt worden war, entschied er sich, bei den Republikanern einzusteigen. Reagan ernannte ihn zum Associate Attorney General, und in dieser Position kontrollierte er sämtliche Strafverfolgungsbehörden des US Attorney’s Office, die Gefängnisbehörde, die DEA und den US Marshals Service. 1983 schlug seine große Stunde mit Anklagen und Gerichtsverfahren gegen Mitglieder des organisierten Verbrechens. Allein in den Jahren ’85 und ’86 klagte er zwölf Personen an. Zu diesen finsteren Figuren zählten auch die Köpfe der Fünf Familien. Rudy erreichte für acht der Angeklagten Verurteilungen zu Hunderten Jahren Gefängnis. Er war der verdammte Held des Jahrhunderts.
Das OCCB existierte schon seit 1971, aber erst in den Achtzigern unter Giuliani fingen sie wirklich an, den Leuten in den Hintern zu treten und Ernst zu machen. Und hier kommt der verstorbene John Parrish ins Spiel, vierzig Jahre alt und seit 1957 bei den Cops. Er hat einen siebenjährigen Sohn und eine Hypothek, und er verfügt über ein hilfreiches Netzwerk von Informanten und Verbündeten in Brooklyn und Umgebung, das er finanzieren muss. Also nimmt er hier und dort und überall Geld an. Nun erhält er das Angebot, ins Organized Crime Control Bureau zu wechseln, der mutmaßlich saubersten, geradlinigsten und ehrlichsten Truppe in der Stadt. Sie sind die neuen Untouchables. Sie sind die Männer, die das Rückgrat der Mafia in New York brechen sollen. Er steigt bei ihnen ein und findet heraus, dass viele dieser Kerle kaum anders sind als er, ganz gewöhnliche Typen, die versuchen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ohne dabei erschossen zu werden. Sie haben Frauen und Kinder und Geliebte, sie zahlen Miete und sind nicht weniger gefeit gegen Versuchungen als jeder x-beliebige Typ auf der Straße. Nur sind jetzt die Einsätze viel höher. Wenn man Informationen an die Mafia weitergibt, ist die Bezahlung enorm. Vorher konnte ein Cop hundert Dollar damit verdienen, dass er die Hand über einen Geschäftsmann hielt, der einen LKW voller Fernseher verlieren und die Versicherungssumme kassieren wollte. Jetzt bekommt er das Fünf- oder Zehnfache, wenn er einfach im entscheidenden Moment wegschaut. Solche Cops konnten zehn Jahre beim OCCB bleiben, ohne auch nur eine Ermahnung oder eine schriftliche Verwarnung zu bekommen. Immerhin waren sie die Saints of New York, verstehen Sie, und sie konnten einfach nichts falsch machen.«
»Und sie waren alle so? Alle korrupt?«
»Mein Gott, nein, überhaupt nicht. Es gab einen beträchtlichen Anteil, der sauber blieb, hart arbeitete und einfach den Job
Weitere Kostenlose Bücher