Der Schrei der Engel: Thriller (German Edition)
nach Hause kommen wollte?«, warf Elizabeth Pulaski ein.
Die Frage brachte ihren Mann zum Schweigen.
Parrish begriff, dass sie nicht wussten, was sie der Polizei noch nicht erzählt hatten.
»Und der einzige Grund, der mich so etwas sagen lässt, sind ihre Kleider«, fügte Elizabeth hinzu.
»Ihre Kleider?«, fragte Parrish.
»Als man sie … ähm … fand … Als man sie fand, trug sie Kleider, die sie niemals angezogen hätte.«
Parrishs Nasenlöcher weiteten sich, als hätte ihn jemand an Ammoniak riechen lassen. »Die sie niemals angezogen hätte?«
»Einen kurzen Rock«, erklärte Elizabeth. »Sehr kurz. Und Schuhe mit hohen Absätzen. Ich meine, Karen besaß zwar Schuhe mit hohen Absätzen, trug sie aber nur zum Tanzen, bei besonderen Anlässen. Normalerweise bevorzugte sie Jeans und Sneakers und Sweatshirts, solche Sachen. Röcke trug sie nur ganz selten, und wenn, dann waren sie lang bis zu den Knien oder noch länger. Ein kurzer Rock, ein Neckholder-Top und hochhackige Schuhe …« Sie schüttelte den Kopf. »Das sah Karen nicht ähnlich, wirklich nicht.«
»Haben Sie das den ermittelnden Beamten erzählt?«
»Ja«, erwiderte David Pulaski, »wir haben alles erzählt, was wir wussten. Es sollte in den Akten stehen.«
»Ja, ganz sicher«, erwiderte Parrish, der sich nicht an einen Hinweis auf Karens Kleidung in ihrer Akte erinnerte. »Aber hier geht es um eine Ermittlung in Williamsburg, während mein Fall in Brooklyn untersucht wird.«
»Und dieser Fall, an dem Sie arbeiten, könnte …«
»Das ist Routine«, warf Parrish ein. »Die Untersuchung des Mordes an Ihrer Tochter wird so lange fortgeführt, bis der Täter gefunden wird. Die mit dem Fall befassten Detectives werden die Akte niemals schließen, und auch wenn Sie mehrere Wochen oder gar Monate nichts von ihnen hören, bedeutet das nicht, dass sie dem Fall nicht genügend Beachtung schenken.«
»Das verstehen wir«, erklärte Pulaski, und Parrish registrierte die Resignation in seinem Tonfall. Pulaski begriff, dass Parrish ihm sagte, was er hören wollte, und dass seine Aussagen nicht unbedingt der Wahrheit entsprachen.
Elizabeth Pulaski erhob sich von ihrem Stuhl. Sie warf erst Parrish, dann ihrem Mann einen Blick zu. »Das Traurige ist, dass nach der ganzen Mühe, die wir investiert haben …« Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Wie bitte?«, fragte Parrish.
»Karen war nicht unsere Tochter«, klärte David Pulaski ihn auf. »Nicht unsere leibliche Tochter. Wir haben sie adoptiert, als sie sieben Jahre alt war. Es ging ihr damals nicht gut, überhaupt nicht gut. Es dauerte gut drei oder vier Jahre, bis sie sich wirklich eingewöhnt hatte.«
»Sie haben sie adoptiert ?«, fragte Parrish, dem es mehr schlecht als recht gelang, seine Überraschung zu verbergen.
Pulaski lächelte unbeholfen. »Das ist nicht so ungewöhnlich, Detective …«
»Nein, natürlich nicht. Es tut mir leid. So habe ich es nicht gemeint. Es knüpft nur an einen Punkt in meiner Untersuchung an.«
»Einen Punkt in Ihrer Untersuchung?«
»In einem anderen Fall. Es tut mir leid. Ich möchte nicht unsensibel klingen, aber Ihre Bemerkung hat mich an etwas erinnert, an dem ich gerade arbeite, das mit dem Fall Ihrer Tochter aber nichts zu tun hat.«
Parrish wusste, dass er unprofessionell klang. Er stand auf, vielleicht ein wenig zu hastig, und beide Pulaskis begriffen, dass er seinen Besuch beenden wollte.
Er dankte den beiden für ihre Zeit und wünschte ihnen alles Gute. Als er die Straße überquerte und den gegenüberliegenden Bürgersteig betrat, drehte er sich nicht mehr zu dem Haus um. Er spürte die Blicke der Pulaskis in seinem Rücken, und er hoffte, dass sie ihn und seinen Besuch so bald wie möglich vergaßen. Er hatte ihnen aus einem ganz einfachen Grund nichts gesagt: Hätte er die Bedeutung der Adoption herausgestrichen, dann wären sie zweifellos in Windeseile auf dem 91sten Revier aufgetaucht und hätten Detective Franco und seine Kollegen mit Fragen bombardiert. Wussten Sie, dass in Brooklyn ein Mädchen ermordet wurde? Ein Detective hat uns besucht und uns erzählt, dass das Mädchen aus Brooklyn ebenfalls seine Eltern verloren hatte, genau wie Karen. Wussten Sie das? Hat dieser Aspekt in Ihren Ermittlungen zum Tod unserer Tochter eine Rolle gespielt?
Er wollte nicht dabei erwischt werden, jemandem auf die Füße zu treten, am wenigsten einem anderen Mordermittler aus einem völlig anderen Revier.
An der Myrtle Avenue nahm Irving die U-Bahn
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