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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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schließlich hatte ihn sein Vater oft genug als Hirte an die Ziegenzüchter im Dorf »vermietet«, nachdem er nicht mehr zur Schule gehen durfte.
    Yoba fragte sich ernsthaft, wie so viele Menschen auf einen einzigen Lastwagen passen sollten. Die meisten der Reisendenwaren junge Männer im Alter von Babatunde und seinen Freunden. Yoba entdeckte nur wenige Frauen und fast gar keine Kinder. Die Leute hockten zusammengedrängt in der prallen Sonne und warteten geduldig auf das Zeichen zum Aufsteigen auf die Ladefläche des Ungetüms. Jeder wollte einen guten Platz ergattern, deshalb rührte sich trotz der Hitze auch niemand vom Fleck. Die beiden arabischen Fahrer machten auf Yoba allerdings nicht den Eindruck, als hätten sie es sonderlich eilig. Während ihre Fahrgäste in der Sonne schmorten, lungerten sie im Schatten der mannshohen Vorderreifen herum und pafften gemächlich eine Wasserpfeife.
    »Hoffentlich ist unser Laster nicht auch so eine Schrottkiste!«, stöhnte Sunday. »Habt ihr gesehen, wie verbogen die Hinterachse ist? Der macht unterwegs in der Wüste schlapp. Jede Wette!«
    »Und wennschon!«, erwiderte Kutu. »Das Risiko ist es wert. Ich wäre froh, wenn wir überhaupt jemals von hier wegkommen. Also, ich gehe jetzt zur Bank. Vielleicht ist mein Geld ja endlich angekommen.«
    »Warte, ich komme mit!«, entschied Maurice. »Vielleicht ist meins ja auch da. Ich habe gestern mit meinem Vater telefoniert und er hat geschworen, er hätte das Geld bereits vor zwei Wochen bei der Bank in Kamerun eingezahlt. Die ganze Verwandtschaft hat zusammengelegt.«
    Maurice und Kutu trotteten davon und auch Sunday verabschiedete sich. Yoba und sein Bruder blieben mit Babatunde allein zurück. Über dem gesamten Platz hing ein beißender Dieselgestank. Yoba kam sich vor wie auf einem Bahnhof. Ständig brachten Minibusse neue Reisende. Einige hatten Koffer oder sonstiges Gepäck dabei, andere wiederum besaßen nur die Kleider an ihrem Leib. Manche waren sogar barfuß. Sie kamen aus ganz Westafrika und viele hatten bestimmt einen noch längeren Weg hinter sich als Yoba und Chioke. Alle vereinte nur ein Ziel: Sie wollten von hier aus durch die große Wüste und in ein besseres Leben. Man spürte die Angst und Verzweiflung, die an diesem Ort in der Luft lagen, aber auch die fiebrige Erwartung und unerschütterliche Hoffnung.
    Plötzlich begann ein wildes Geschrei. Zwei Männer gingen in der flirrenden Hitze mit Messern aufeinander los, wurden aber von den Umstehenden rasch wieder getrennt. Yoba nahm Chioke an die Hand und beschloss ihn hier nicht mehr allein herumlaufen zu lassen.
    »Hier dürft ihr niemandem trauen!«, warnte ihn Babatunde, als habe er Yobas Gedanken gelesen. Sie gingen quer über den Platz. »Siehst du die Kameruner? Da hinten am zweiten Tor?«
    Yoba waren die drei erbärmlich dürren Gestalten bereits aufgefallen. Sie rutschten auf blutigen Knien über den Boden und bettelten die Reisenden um etwas zu essen an. Bislang hatte ihnen aber niemand etwas gegeben.
    »Diese armen Schweine sind hier gestrandet«, raunte Babatunde. »Die Soldaten haben ihnen an der Straßensperre vor der Stadt alles abgenommen. Jetzt sitzen sie seit Monaten hier fest und verhungern langsam.« Der ehemalige Medizinstudent wirkte traurig. »Sie würden alles tun, um von hier wegzukommen. Und sie sind nicht die Einzigen, glaub mir. Also passt gut auf euch auf!«
    Yoba klemmte die an seiner Schulter baumelnde Tasche zur Sicherheit unter den Arm. Noch hatte er keinen Weg gefunden, die Dollars unbemerkt wieder in seine Unterhose zu stopfen, um sie dort zu verstecken.
    »Und was sind das da vorn für Geschäfte?«, fragte er interessiert.
    Gegenüber den Essensständen und Konservenhändlern zog sich ebenfalls eine Reihe von Buden an der Mauer entlang. Sie warben mit handgemalten Schildern um Kundschaft.
    »Das sind die Reisebüros«, erklärte Babatunde. »Dort bekommt man die Fahrkarten. Und hier hängt die aktuelle Preisliste«, sagte er, als sie das erste der Büros erreichten. Er zeigte auf eine mit Kreide beschriftete, zweckentfremdete Schultafel, auf der verschiedene Orte inklusive Fahrpreis aufgelistet waren. Yoba vermutete, dass es sich um die einzelnen Stationen auf dem Weg durch die Wüste handelte.
    »Und wenn man keinen Pass hat?«, fragte er vorsichtig. »Wenn man zum Beispiel fliehen muss? Kriegt man dann auch eine Fahrkarte?«
    Babatunde sah ihn verblüfft an, dann huschte ein wissendes Lächeln über sein Gesicht. »Keine

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