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Der Schrei des Löwen

Der Schrei des Löwen

Titel: Der Schrei des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin Ramadan
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fast so grausam wie die Hitze am Tag. Nur der Durst hatte nachgelassen. Er kauerte sich mit dem Rücken an einen verwitterten Stein, zog die Knie an und wartete sehnsüchtig auf die Sonne. Ihm blieb nur noch der kommende Tag. Wenn er bis zum Abend nicht auf Hilfe gestoßen war, würde er zu schwach sein, um weiterzulaufen. Er würde verdursten.
    Sobald der erste helle Streifen am Horizont sichtbar wurde, rappelte er sich hoch und marschierte weiter. Immer in die gleiche Richtung, wie er hoffte, aber so genau wusste er dasnicht. Als die Sonne im Zenit stand, brach er das erste Mal zusammen. Es dauerte Minuten, bis er sich von diesem Schwächeanfall erholt hatte. Die Zunge in seinem ausgetrockneten Mund war nur noch ein unförmiges Etwas. Seine Beine fühlten sich an wie Gummi. Yoba musste seine ganze Willenskraft aufbieten, um wieder auf die Füße zu kommen. Er durfte jetzt nicht aufgeben. Sein Bruder brauchte ihn doch.
    War dahinten nicht ein See? Yoba schirmte seine Augen mit der Hand gegen das flirrende Sonnenlicht ab. Jetzt konnte er sogar Palmen am Ufer erkennen! Wenn er die nötige Kraft dazu gehabt hätte, hätte er einen Jubelschrei ausgestoßen. So aber stolperte er einfach auf das rettende Wasser zu. Nach einer Weile hielt Yoba jedoch verwundert inne. Er kam dem See einfach nicht näher. Es war, als würde das Wasser vor ihm Reißaus nehmen. Yoba humpelte noch schneller, aber das glitzernde Ufer des Sees blieb unerreichbar.
    Plötzlich fiel ihm das Gespräch wieder ein, das er auf der Ladefläche des Lkws mit angehört hatte. Die Männer hatten sich über die Dschinns, die Geister der Wüste, unterhalten. Angeblich lockten sie die Menschen in die Irre, um sich dann an ihrer Verzweiflung und ihrer Not zu ergötzen. Zuerst hatte er das für bloßes Gerede gehalten, aber jetzt war er sich nicht mehr so sicher: So wie es aussah, gab es diese Geisterwesen wirklich. Wenn er stehen blieb und den Atem anhielt, konnte er sogar ihre flüsternden Stimmen hören. Es klang, als würden sie ihn wegen seiner Dummheit verhöhnen.
    Yoba hielt sich die Ohren zu und wankte weiter vorwärts. Auf der Haut seiner nackten Arme bildeten sich bereits Brandblasen von der sengenden Sonne. Außerdem schmerzte jeder Schritt. Die Sandkörner in seinen Turnschuhen hatten seineFüße längst wund gescheuert und in rohe Fleischklumpen verwandelt. Ausziehen konnte er die Schuhe nicht, denn sonst hätte er sich sofort im glühenden Sand verbrannt. Dann verlor er das Gleichgewicht und schlug mit der Stirn gegen einen Stein. Eine Eidechse huschte erschrocken davon. Yoba versuchte sich wieder aufzurappeln, doch in seinem Kopf drehte sich alles. Am Ende schaffte er es nicht einmal mehr, bis zu dem großen Felsen zurückzukriechen, wo es vielleicht eine Handbreit Schatten gab. Der quälende Durst raubte ihm jegliche Energie. Er wollte nur noch sterben.
    Bitterkeit stieg in ihm auf. Anthony, der Parkplatzwächter, hatte Recht behalten: Er hätte nie aus Nigeria weggehen dürfen! Mit dem gestohlenen Drogengeld hätten Adaeke und er irgendwo in einer anderen Gegend eine Familie gründen können. Weit weg von Big Eagle und seiner Gang. Dann wäre sein Bruder zwar nie gesund geworden, aber er wäre wenigstens noch am Leben. Der Gedanke, Chioke könnte auch zurückgelassen worden sein und genauso wie er hilflos durch die Wüste irren, erfüllte Yoba mit unendlichem Schmerz. Röchelnd versuchte er wieder hochzukommen, aber seine Beine knickten unter ihm weg. Einmal, zweimal, dreimal. Schließlich gab er auf. Am Ende seiner Kräfte angelangt blieb Yoba einfach liegen.
    Da war er wieder, dieser verlockende Glitzersee. Die Geister der Wüste trieben ein letztes Mal ihr grausames Spiel mit ihm. Diesmal sah Yoba nicht nur Palmen, sondern auch Vögel. Kleine schwarze Punkte, hoch oben am blauen Himmel. Und er sah Dromedare. Aufgereiht wie auf einer Perlenschnur trotteten sie gemächlichen Schrittes durch den See. Das flirrende Wasser reichte ihnen bis zum Bauch, aber sie schienen keineNotiz davon zu nehmen. Yoba wunderte sich. Plötzlich beugte sich ein Wüstengeist über ihn. Der Kopf des Dschinns war mit einem blauen Tuch umwickelt, das nur einen Sehschlitz frei ließ. Der Wüstengeist murmelte etwas Unverständliches vor sich hin. Dann zog er mit zwei Fingern das Tuch herunter und entblößte sein dunkelhäutiges Gesicht. Es war voller Falten und seine Augen funkelten Yoba neugierig an.

29.
    Der Beamte der Küstenwache musterte Julian und Adria, als

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