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Der schwarze Atem Gottes

Der schwarze Atem Gottes

Titel: Der schwarze Atem Gottes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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mehr so rot, und überdies war er viel kleiner geworden. Die beiden Mönche stahlen sich dicht an die Wände der Burg gedrängt um den trutzigen Bau herum. In einer Entfernung von etwa zehn oder zwanzig Ellen verlief die Burgmauer um etliches tiefer um den Felsvorsprung, auf dem das mächtige Gebäude wie ein lauernder Adler thronte. Da der Boden zwischen der Burg und der Mauer sehr abschüssig war, mussten die beiden Mönche größte Sorgfalt walten lassen, um nicht abzurutschen. Immer wieder blieben sie stehen und erkundeten den unebenen Boden, der von dem Mond bestrahlt wurde und das Licht bleich zurücksandte. Jenseits der tiefer gelegenen Mauer brüteten die düsteren Tannenwälder unter dem fahlen Licht der Nachtsonne, und die Kronen neigten sich sacht im lauen Frühlingswind.
     
    Schließlich hatten Hilarius und Martin die Burg unbeobachtet umrundet und kamen zu dem rostigen Gitter, das wie am Nachmittag zuvor unverriegelt war. Martin drückte einen Flügel des Tores auf, und er und der alte Pater schlüpften leise hindurch. Martin lehnte das Tor wieder an, und sie tauchten ein in die seltsame Welt dieses weitläufigen Parks.
     
    Die Skulpturen, an denen sie vorüberhuschten, waren mit nichts vergleichbar, was Martin in seinem jungen Leben bisher gesehen hatte. Sie zeigten keine antiken Götter, sondern Dämonen, die nach lebendigen Abbildern modelliert zu sein schienen. Torsi, Arme, Beine, Köpfe, Auswüchse, Hauer, Krallen – all das war wie willkürlich zusammengesetzt, als ob der Künstler einen Blick in die Hölle hätte tun dürfen und danach wieder wohlbehalten auf die Erde zurückgekommen war. Auch die Hecken waren zu bizarren Formen zurechtgestutzt, die sich im jetzt bleichen Blicht des Mondes zu regen und zu bewegen schienen. Martin hörte, wie der Pater unablässig etwas murmelte. Es waren immer dieselben lateinischen Worte, und es dauerte etwas, bis Martin sie verstand. Übersetzt lauteten sie: »Sie werden Krieg führen gegen das Lamm, doch das Lamm wird sie besiegen, denn ›Herr der Herren‹ ist es, ›König der Könige‹, und sein Gefolge sind Berufene, Auserwählte und Getreue.« Es war ein Text aus der Apokalypse.
     
    Die Statuen schienen sich zu ihnen herabzubeugen, und Martin war sich nicht sicher, ob es der Wind war, der immer lauter in den Hecken heulte, oder ob diese Laute aus den Mündern und Schlünden der dämonischen Gottheiten kamen. »Da hinten!«, rief er. »Da ist der Turm, von dem Federlin gesprochen hat!« Ein hoher Rundturm mit einer spitzen Haube hob sich gegen die mächtigen Bäume ab, die sich hinter der Mauer anschlossen. »Rechts neben diesem Turm soll die Mauer ein Loch haben!« Martin musste brüllen, um gegen die anschwellenden Laute anzukommen. War es wirklich nur der Wind?
     
    Er lief voraus, doch als er einigen Büschen und Hecken ausweichen musste und hernach versuchte, wieder den richtigen Kurs einzuschlagen, war der Rundturm mit der spitzen Haube verschwunden.
     
    Martin blieb verwirrt stehen und schaute in die Runde. Ein Blick in Hilarius’ aufgerissene Augen zeigte ihm, dass auch der Pater bemerkt hatte, was los war. Was aber war wirklich los?
     
    Um sie herum gab es nichts mehr als diesen verfluchten Park. Kein menschlicher Laut drang zu ihnen; von dem Schloss und den Arbeiten der Schauspielertruppe war nichts mehr zu sehen oder zu hören. Zu allen Seiten hin erstreckte sich der dichte Rasen, belauerten sie die weißen Dämonen und die schwarzen Heckenfratzen. Der Wind zerrte ihnen an den Kleidern und warf ihnen schauerlich lautes Gewinsel und Gebrumm in die Ohren, das geradewegs bis in ihre Seele zu schießen schien. Es war wie das Geheul der verlorenen Opfer in der Hölle.
     
    »Weiter!«, rief Hilarius. »Wir dürfen nicht stehen bleiben!«
     
    Martin warf sich gegen den Wind und tauchte in den Mondschatten der nächsten Büsche ein. Da sprang sie etwas an.
     
    Martin wich zur Seite aus und sah dann zurück. Es war nur ein Schatten gewesen. Aber was hatte ihn so plötzlich geworfen?
     
    Hilarius stand mit weit aufgerissenen Augen da. Er hielt sich den Bauch mit beiden Händen fest und krümmte sich vor Schmerzen. Der zweite Kopf! Martin starrte den alten Pater ängstlich an. Hilarius ging in die Knie und ächzte. Mit zwei Sprüngen war Martin bei ihm. Er packte den Pater unter den Achseln und wollte ihn aufrichten. Doch Hilarius drückte Martins helfende Arme zur Seite und versuchte, aus eigener Kraft wieder auf die Beine zu kommen. Nach

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