Der schwarze Magier
Den Befehlen des Sultans hatte auch er Folge zu leisten, aber er war überhaupt nicht erfreut, diesen seltsamen und unheimlichen Mann in seiner Nähe zu wissen oder gar als Konkurrenten zu haben. »Frauenheilkunde?«
»Sicher. In unserem Hospital gibt es ein Haus für Frauen. Natürlich ist es getrennt von dem der männlichen Patienten und auch die Pflege wird von Frauen übernommen, aber der Arzt… der Arzt ist ein Mann.«
»Das ist erstaunlich. Erzählt mehr darüber.«
»Wie viel wisst Ihr bereits über das Innere einer Frau?«
»Genug, dass ich ihr ein Kind aus dem Leib schneiden konnte.«
Moses schwieg und blickte Rupert lange an. »Dann kommt mit mir«, sagte er nur und ging voran.
Jeden Morgen wurde Rupert vom lauten Rufen des Muezzins geweckt, der die Gläubigen zum ersten Gebet in die Moschee rief. Auch wenn Rupert in seiner freien Zeit den Koran studierte, lag es ihm fern, dessen Inhalt zum Bestandteil seines Glaubens zu machen. Er glaubte nicht daran, dass es einen allmächtigen Gott im Himmel gab, der die Geschicke der Menschen leitete und dessen Strafe man zu fürchten hatte. Doch darüber schwieg er dem Imam gegenüber. Er drehte sich auf seiner angenehm weichen Liege um und lauschte den hastenden Schritten der Menschen, die langsam die engen Gassen Jerusalems bevölkerten. Die Händler kamen und die Bauern, die Soldaten beteten im Kasernenhof und Rupert vernahm deren vielstimmiges Murmeln.
Einige Male hatte er den Sultan zum Freitagsgebet zur Al-Aksa-Moschee auf den Tempelberg begleitet. Saladin hatte ihn eingeladen, die Moschee zu betreten. Wie eine byzantinische Basilika besaß die Moschee mehrere Schiffe, die durch imposante Säulenreihen voneinander getrennt wurden. Noch bis vor drei Jahren war diese Moschee die Residenz der Kreuzritter gewesen. Doch Rupert zog es vor, seine Gebete in der freien Natur zu verrichten, und er zog sich häufig auf den Ölberg zurück, wo er sich unter einem mächtigen alten Olivenbaum mit verschlungenem Stamm niederließ und im Geiste Verbindung mit den Kräften der Naturgötter aufnahm. Der Sultan hatte sich nicht beleidigt gefühlt, achtete er Ruperts seltsamen Glauben doch mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie Rupert den Islam achtete.
Vom Tempelberg hatte Rupert einen reizvollen Blick auf die Stadt Jerusalem, ihre engen Gassen, ihre Kuppeln, Türme, Kirchen, Minarette und Mauern. Am schönsten jedoch fand er den mit einer goldenen Kuppel gekrönten achteckigen Felsendom mit seinen blauen Kacheln, Mosaiken und geschwungenen Säulen. Ein weitläufiger Platz trennte den Felsendom von der Al-Aksa-Moschee, der an islamischen Feiertagen voller Menschen war, die unter freiem Himmel ihre Gebete auf ausgerollten Teppichen verrichteten. Er beobachtete die Gläubigen bei ihrer rituellen Waschung am Brunnen vor der großen Freitreppe, die zum Felsendom führte, lauschte auf die in kehligem Arabisch vorgetragenen Gebete, spürte den Wind auf seiner Haut und ließ die Gedanken treiben.
Meist begann Rupert seinen Tag mit einem ausgiebigen Bad. Es war von den vielen angenehmen Dingen des täglichen Lebens das Beste, was die arabische Lebensweise zu bieten hatte. Es gab öffentliche Badehäuser, aber es war ihm gestattet, das kleine türkische Bad im Gebäudekomplex zu nutzen, zu dem auch die Minister und Vertrauten des Sultans Zutritt hatten. Zwar mieden ihn die meisten Männer des Sultans, doch Rupert machte sich wenig daraus. Er suchte nicht die Anerkennung der anderen, er suchte das Wissen zur Vollendung seiner Macht. Seine Macht war es, jeden anderen Menschen beherrschen zu können, wenn er es wollte. Doch wollte er es überhaupt? Wollte er Richard zwingen, etwas zu tun, das nicht in Richards Absicht lag? Wollte er den Sultan zu etwas bringen, das er nie vorgehabt hatte?
Der Sultan besaß ein ausgezeichnetes Spionagenetz und er war stets aufs Beste über Richards Unternehmungen informiert.
»Malik Richard sitzt seit einigen Monaten in Askalon und hat alle Hände voll zu tun, seine streitenden Hitzköpfe in Akkon im Zaum zu halten«, erzählte ihm der Sultan vergnügt. »Genueser und Pisaner schlagen sich die Köpfe ein und die beiden Streithähne um den Königsthron von Jerusalem sind mittendrin.«
»Ihr meint Konrad von Montferrat und Guy de Lusignan?«
»Gewiss! Sie streiten sich um etwas, das sie gar nicht besitzen – und nie besitzen werden«, schloss Saladin.
»Es wäre für Euch die beste Gelegenheit, Richard in die Knie zu zwingen. Sein
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