Der schwarze Magier
werden kann.«
Rupert hob die Augenbrauen. »Ungewöhnlich für eine Religion, die auf Glauben, nicht auf Wissen aufbaut.«
Moses nickte nachdenklich. »Die ungebildeten Massen sollen ruhig glauben, dass Gott menschliche Züge hat. Dann fällt es ihnen leichter, die sechshundertdreizehn göttlichen Ge- und Verbote einzuhalten. Aber jedem Einsichtigen muss doch klar sein, dass Gott weder sehen noch zürnen und schon gar nicht hören kann.«
Ruperts Mundwinkel verzogen sich spöttisch. »Und warum betet Ihr dann, wenn Gott es nicht hören kann?«
»Eine berechtigte Frage.« Der Arzt senkte den Kopf. »Ich habe aufgehört zu beten, seit meiner Familie das große Unglück widerfuhr.« Da Rupert schwieg, fuhr Moses fort: »Meine Heimat liegt jenseits des Meeres in Cordoba. Meine Familie trieb Handel mit Juwelen. Ein einträgliches Geschäft. Ich habe gut davon gelebt.« Für einen Augenblick huschte ein selbstgefälliges Grinsen über sein Gesicht, doch gleich darauf wurde er wieder ernst. »Eines Tages geriet das Schiff mit seiner kostbaren Ladung in einen schweren Sturm. Mein Bruder befand sich an Bord, um die Ladung zu begleiten. Er ruht nun samt der Juwelen am Grund des Meeres. Ich habe Gott gefragt, warum er uns das angetan hat.« Seine Augen blickten Rupert fest an. »Er hat nicht geantwortet. Da wollte ich wissen, warum Gott nicht antwortet. Seitdem beschäftige ich mich mit theologischen Fragen.«
»Und Medizin.«
»Und Medizin. Für mich gehört beides untrennbar zusammen.«
»Da pflichte ich Euch bei.« Rupert stellte vorsichtig die kostbare Teeschale auf das wertvolle, mit Schildpatt eingelegte Tischchen zwischen ihnen.
»Sultan Saladin hat mich als Leibarzt an seinem Hof aufgenommen, als man mich aus Cordoba vertrieb. Es ist schon seltsam, die Moslems haben mich aus meiner Heimat vertrieben und ein Moslem hat mir wieder eine Heimat gegeben. Saladins Weltoffenheit ist nicht genug zu rühmen. Es ist ihm gleich, welcher Religion man angehört, wenn man nur den Islam achtet. Und warum sollte man nicht, denn auch die Muselmanen sind ein gläubiges Volk. Ob man den Gott Allah, Jahve oder was weiß ich nennt, es ist doch gleichgültig. Auf keinen Fall ist es ein Grund, sich deshalb zu bekriegen und zu töten. Es gibt eine Verbindung zwischen der menschlichen Vernunft und dem Glauben, auch wenn viele meiner Kritiker meine Ansicht als heterodox verdammen. Wir haben einen Kopf zum Denken, warum sonst hat Gott uns die Vernunft gegeben? Damit wir sie gebrauchen. Ich verstehe die ganze Aufregung um Jerusalem nicht. Für die Muselmanen ist es eine heilige Stadt, für die Juden und für die Christen ebenso. Warum können sie nicht kommen und, jeder auf seine Weise, dem Allmächtigen huldigen? Warum beansprucht jeder den heiligen Ort für sich allein?«
»Diese Frage kann ich Euch beantworten«, erwiderte Rupert. »Weil es gar nicht um Gott geht. Er ist nur der Vorwand. Es geht um die Macht. Wer Jerusalem besitzt, besitzt auch die Macht.«
Moses kicherte. »So muss es sein, sonst käme man zu dem Schluss, dass der Christengott recht schwach ist, nachdem ein drittes Mal ein Kreuzzug gescheitert ist.«
»Vielleicht hat der Christengott etwas dagegen, was seine Gläubigen in seinem Namen veranstalten. Außerdem weiß ich, dass die Christen Gottes Wort so auslegen, wie es ihnen in den Kram passt. Mit Feuer und Schwert verbreiten sie das Christentum und scheuen nicht davor zurück, dafür ganze Völker zu morden. Doch sagte nicht dieser Gott: Du sollst nicht töten?«
»Ich lebe nun schon einige Zeit in Kairo am Hof des Sultans und begleite ihn nur, wenn er sich auf einen seiner Kriegszüge begibt. Auch die Muselmanen nehmen für sich das Recht in Anspruch, ihre Religion mit Gewalt zu verbreiten. Aber gleichzeitig glauben sie an Amulette, Astrologie und sonstigen Hokuspokus. Wenn man den Koran liest, dann findet man sehr viel tiefe Wahrheit darin.«
»Und wer liest den Koran außer den Imamen? Das einfache Volk wird sich immer seine eigene Religion schaffen, wie es sie verstehen will, schlicht, überirdisch, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben im Jenseits.«
»Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben«, erwiderte Moses. »Es heißt Führer der Unschlüssigen. Meine Ideen bauen auf den genialen Gedanken der berühmten Gelehrten der Antike auf, Aristoteles, Platon…« Sein Blick wurde schwärmerisch. »Damals gab es mehr Freiheit zum Denken.«
»Bernhard von Clairvaux hat gefastet und gebetet, die Nächte gewacht
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