Der Schwarze Mandarin
sich an. Vom Telefon im Schlafzimmer rief er Dr. Freiburg an. Er mußte jetzt in seiner Praxis sein. Die Sprechstundenhilfe verband ihn sofort mit dem Doktor, und Freiburg sagte genüßlich:
»Aha! Da ist ja der China-Traveller! Rufst du aus München an?«
»Ja, ich bin daheim.«
»Komm sofort rüber.«
»Nein! Ich fühle mich pumperlgesund!« Das war zwar gelogen, aber die Wahrheit ging Dr. Freiburg nichts an. Ihm Geheimnisse anzuvertrauen war, als habe man eine Großanzeige in der ›Abendzeitung‹ veröffentlicht.
»Wie war's in China?« fragte Dr. Freiburg.
»Das kann man am Telefon doch nicht erzählen. Es war die bisher interessanteste und schönste Reise meines Lebens. Ich war bei den Mosuos am Lugu-See, einem Stamm, über deren Herkunft es bis heute kaum Erkenntnisse gibt! Ich habe ihre Kultur erforscht.«
»Allein? Mit Händen und Füßen redend?«
»Ich hatte eine Dolmetscherin bei mir.«
»Nachtigall, ick hör' dir trapsen …«
»Liyun ist ein anständiges Mädchen!«
»Wie kann man in deiner Gesellschaft anständig bleiben?«
»Schluß jetzt.«
Rathenow warf den Hörer auf. Mit Freiburg vernünftig zu sprechen, war eine Kunst für sich und erforderte eine große Leistung an Geduld. Dafür war er ein blendender Diagnostiker. Man konnte ihn als Arzt nur mit einem bis zur Weißglut ärgern: Wenn Patienten mit Zeitungsartikeln erschienen, die eine andere Therapie beschrieben als die, die Dr. Freiburg anwendete. Es gab also für Rathenow nur eine Möglichkeit, sich an Dr. Freiburg für dessen Spott zu rächen: die absolut richtige Diagnose des Dr. Tao Baibing an seinem Tisch im See-Park von Kunming. Dr. Tao, der Erfinder der Methode, durch Körpertemperatur und Körperschwingungen versteckte Krankheiten zu erkennen. Das würde Dr. Freiburg auf die Palme bringen …
Den Vormittag benutzte er dazu, endlich seine Koffer auszupacken, die schmutzige Wäsche in einen Sack zu stecken, der am nächsten Tag von der Wäscherei abgeholt werden würde, und die Anzüge nach draußen auf die Terrasse zum Entlüften zu hängen. Aus der Reisetasche nahm er Liyuns Batik vom Goldenen Tempel in Kunming, breitete sie aus und hielt sie vor sich. Das Bai-Mädchen schien lebendig zu werden, die drei Tauben schienen davonzuflattern, das Gras unter den Füßen des Mädchens schien zu blühen, und es war ihm, als sei er immer noch in China und in der nächsten Stunde würde Liyun wieder vor ihm stehen und mit ihrer hellen Stimme sagen: »Hier im Erhai-See hat mein Vater als kleiner Junge gefischt.«
»Liyun, ich vermisse dich!« flüsterte Rathenow. »Schon jetzt, am vierten Tag ohne dich.«
Er ging wieder in sein Schlafzimmer und klebte das Tuch mit vier Pflasterstreifen – provisorisch, denn in den nächsten Tagen wollte er einen Rahmen besorgen – an die Wand gegenüber von seinem Bett. So konnte er es beim Einschlafen und beim Aufwachen sehen.
Am Nachmittag war Rathenow in der Stadt, brachte seine Filme zum Entwickeln, und um 19 Uhr saß er im ›Franziskaner‹, trank ein Bier und einen Klaren und bereitete sich auf seine Begegnung mit den Triaden vor. Sich stur stellen, das war der Grundgedanke. Sich weit dümmer geben, als man war. Dann war die Gegenseite gezwungen, deutlicher zu werden.
Punkt 20 Uhr parkte Rathenow seinen Wagen auf dem Parkplatz des Restaurants und betrat den ›Schwarzen Mandarin‹. Es war ein großes Lokal mit verschiedenen, ineinander übergehenden Räumen, luxuriös eingerichtet mit geschnitzten und vergoldeten Decken, großen Gemälden an den mit roter Seide bespannten Wänden, chinesischen Troddellampen mit kunstvoll bemalten Gläsern, Stühlen und Tischen aus rotem Eisenholz und einer Vielzahl in den Räumen verteilten Figuren aus Marmor, Jade oder bemaltem Holz von Buddha oder dem fetten Gott Bao-Dai, dem Schutzherren der Zufriedenen und der genußvollen Esser. Auffällig für jeden aber waren ein riesiges Aquarium, das in der Mitte des Lokals als Raumteiler aufgestellt war, und eine große goldene Götterfigur direkt am Eingang, die den Besucher mit einem breiten Lächeln begrüßte.
Rathenow blieb am Eingang stehen und überblickte das Lokal.
Das Restaurant war um diese Zeit fast voll. Die meisten Gäste waren Deutsche. Rathenow dachte darüber nach, daß in Deutschland chinesische Restaurants immer beliebter werden. Sie schießen wie Pilze aus der Erde, überlegte er. Hat ein Chinese die Konzession bekommen, trudeln bald seine Verwandten ein und gründen nach ein, zwei Jahren
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