Der Schwarze Mandarin
ihr eigenes Lokal – ein sehr erfolgreiches Schneeballsystem, von dem vor allem die Triaden profitieren. Er hatte über die Arbeit der ›chinesischen Mafia‹ schon einiges in Zeitungen und Illustrierten gelesen und einen Fernsehfilm gesehen, den er damals für übertrieben hielt. Jetzt, wo er selbst ein Opfer der Triaden geworden war, erschien ihm der Film wie eine Verharmlosung der Tatsachen. Und in diesem Zusammenhang hatte Rathenow einmal gehört: Sobald ein neuer Eßtempel eröffnet wird, erscheint bei dem Wirt ein freundlicher Chinese, ißt zu Abend, beobachtet den Umsatz und geht dann in die Küche, wo oft der Chef am Herd steht. Meistens weiß der Shih, der ›Meister‹, wer ihn da besucht, und es wäre dumm, ja sogar gefährlich, den ungebetenen Gast hinauszuwerfen. Der nette Chinese führt dann ein kurzes Gespräch mit dem Wirt, bietet ihm, seiner Familie und vor allem seinem Restaurant den ›Schutz der Brüder‹ an und kündet den Besuch seines Daih-Loh an, des ›Großen Bruders‹, der über die ›Schutzgebühr‹ verhandeln will. Eine Ablehnung sei möglich, aber – so erklärt der Besucher freundlich – »denk daran, daß du Frau und drei Kinder hast …« Es gibt keinen Chinesen, der diesen Hinweis nicht versteht.
Rathenow wartete, bis ein Kellner in schwarzer Hose und blütenweißem Hemd mit schwarzer Fliege zu ihm kam und ihm zulächelte. Es war derselbe Mann, der ihn am Flughafen empfangen und das Kaffeepulver und die Trockenmilch entgegengenommen hatte.
»Wir freuen uns, Sie im ›Schwarzen Mandarin‹ als Gast begrüßen zu dürfen«, sagte er. »Bitte folgen Sie mir. Sie werden schon erwartet.«
Der Kellner ging voraus bis in das letzte, kleine Zimmer, das durch eine Faltwand von den anderen Räumen abgeteilt werden konnte. Hier saß an einem geradezu festlich gedeckten Tisch mit üppigem Blumenschmuck, als handele es sich um ein Hochzeitsmahl, ein älterer Chinese. Er erhob sich sofort, als Rathenow ins Zimmer kam, und sah ihn mit einem schnellen, scharfen und musternden Blick an. Der erste Eindruck, die ersten zehn Sekunden, so heißt es, sind maßgebend für das ganze Leben. In diesen zehn Sekunden entscheiden sich Sympathie und Antipathie, und nichts kann fernerhin diese Einstellung mehr korrigieren.
Der Chinese, in einem unauffälligen dunkelblauen Anzug, weißem Hemd, grauer Krawatte und italienischen Schuhen, das an den Schläfen weiß schimmernde Haar glatt zurückgekämmt, kam um den Tisch herum auf Rathenow zu. Der Kellner verschwand sofort und zog die Falttür zu. Das Gesicht des Chinesen war rund und faltenlos. Die Augen lagen tief in der Fettfalte, die so typisch ist für Asiaten. Als er vor Rathenow stand, der einen ganzen Kopf größer war, machte er die Andeutung einer Verbeugung.
»Willkommen im ›Schwarzen Mandarin‹«, sagte er mit einer ungewöhnlich tiefen Stimme. »Es freut mich, daß wir uns sehen.«
»Die Freude ist wohl einseitig«, antwortete Rathenow abweisend. Der Chinese überhörte es höflich.
»Mein Name ist Min Ju.«
»Der ›Herr Direktor‹«. Es klang giftig. »Oder auch Daih-Loh.«
»Oh, Sie sprechen Chinesisch?«
»Nein. Ich habe es aus der Literatur. Ich brauche nicht zu fragen, ob Sie wissen, daß ich mich mit den Minderheiten im heutigen China beschäftige.«
»Natürlich wissen wir das.« Min Ju zeigte auf den festlich gedeckten Tisch. »Nehmen wir Platz. Ich habe für Sie ein Essen zusammengestellt, daß Asien und Europa miteinander verbindet.« Sie setzten sich gegenüber, getrennt durch das Blumenarrangement zwischen ihnen. »Wie wir wissen, essen Sie nicht mit Stäbchen.«
»Ich lerne das nie, so einfach es sein soll – sagen die, die es können. Ich bin zu blöd dazu.«
Min Ju lächelte höflich. Er mußte unbemerkt irgendwo auf einen Knopf gedrückt haben, denn der Kellner erschien sofort wieder im Spalt der Falttür.
»Du kannst anfangen!« befahl Min auf chinesisch. Und dann wieder auf deutsch zu Rathenow: »Die Spezialität von Zou Shukong, dem Chefkoch, sind besonders schmackhafte Frühlingsrollen. Zou kommt übrigens aus Chongqing, aus der Sichuan-Provinz. Sie ist berühmt für ihre scharfe Küche; einem Europäer kann es dabei die Speiseröhre verbrennen. Ich habe Zou gesagt, er soll mäßig sein mit seinen Gewürzen … wir wollen doch noch lange zusammenarbeiten.« Es war das erstemal, daß Min jetzt andeutete, was Kewei ausgesprochen hatte. Rathenow preßte die Lippen aufeinander.
»Die Soße, die Zou zu den
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