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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eingeklappt, der Ringfinger vorgestreckt, die Faust geballt, nur Ring- und Mittelfinger hochgestreckt – Handfiguren, von denen jede ihre Bedeutung hatte. Min trat an das Schaubild heran.
    »Seit Jahrhunderten haben sich die Geheimbünde stumm mit Hilfe der Fingersprache unterhalten oder sich vorgestellt. Wir haben diese Tradition beibehalten und verfeinert. Wir haben jetzt für alle Vorkommnisse und Tätigkeiten, für jeden Rang innerhalb der Triaden einen genauen Fingercode. Du mußt die Codes üben und auswendig lernen, denn wenn ein Lokal voller Gäste ist, mußt du dem Wirt durch die Fingersprache zeigen, wer du bist. Er wird dich dann sofort erkennen. Sieh her, Bai Juan Fa!« Min zeigte auf die Hand mit eingezogenem Zeige- und Ringfinger und ausgestrecktem Mittelfinger. Daumen und kleiner Finger waren weit abgespreizt. »Das ist das Zeichen des Triaden-Chefs. In München bin ich es. Kommt Besuch aus Amsterdam, London, Hongkong oder New York und sitzt im ›Schwarzen Mandarin‹, werden wir ihn an dieser Fingersprache sofort erkennen. Bild Nummer zwei: Das ist die Geste eines erfolgreichen Offiziers, dem man gehorchen muß. Bild Nummer drei: Es signalisiert dem Begleiter eines Kassierers, daß das Schutzgeld bezahlt wurde. Bild Nummer vier: Das ist dein Handzeichen, Bai Juan Fa. Die Finger eines Cho Hai, eines Boten, einer Grassandale.«
    Er erklärte noch acht weitere Handzeichen, und Rathenow erkannte, daß die chinesische Fingersprache eine Wissenschaft und eine Kunst für sich ist. Eine Stunde lang übte er die verschiedenen Fingerverrenkungen, und Min Ju kommandierte, schnell, dann immer schneller die einzelnen Positionen.
    »Chef!« rief Min. Und dann: »Cho Hai – Offizier – Schutzgeld bezahlt – befreundeter Triade – 14K-Triade – Verweigerung – Bestrafung nötig – Cho Hai – zahlt erst nächste Woche – Offizier – ist verreist – 14K-Triade – hat bezahlt –«
    Rathenow fühlte, wie der Schweiß über sein Gesicht lief. Min Ju war unerbittlich, denn seine Kommandos führte auch Aisin Ninglin aus, und der war stets früher fertig als Rathenow. Hämisch grinste er seinen Nachfolger an. Du lernst es nie. Nie! Weil du kein Chinese bist. Du bist ein weißer lahmer Arsch!
    Dann hatte Min so etwas wie Mitleid mit Rathenow, er brach die Übung ab. Rathenow ließ die Hände in seinen Schoß sinken; die Finger schmerzten in jedem einzelnen Glied, als habe man sie ihm verdreht.
    »Du mußt noch viel üben, Bai Juan Fa«, sagte Min. »Du darfst nicht überlegen … es muß automatisch kommen wie ein Wimpernschlag.«
    »Meine Finger sind nicht aus Gummi.« Rathenow bewegte seine Finger – sie waren fast gefühllos und schienen ihm geschwollen. »Aber ich werde üben …«
    »Bist du stark genug, die dritte Lektion noch kennenzulernen? Auch sie mußt du auswendig lernen und beherrschen.«
    »Auch mit den Fingern?« fragte Rathenow erschöpft.
    »Nur zum Teil.« Min Ju verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. »Die Fingerzeichen sind ein grobes Bild. Aber es gibt Situationen, etwa, wenn ein Lokal bis zum letzten Platz gefüllt ist und viele Chinesen an den Tischen sitzen. Wie willst du erkennen, ob der Mann, der dir gegenüber sitzt, einer von uns ist oder ein Feind von einer anderen Triade, wie etwa ein Mann der Tung-Gruppe oder ein Shi Hai-Spion? Wir wissen, daß die Gruppe der Chao Zhou von Hongkong nach Europa wandern will. Mit sechs Gruppen und 16.000 Mitgliedern. Wie erkennst du ihn? Ist es keiner von uns, der auf deine Zeichen antwortet, mußt du mit ihm kämpfen oder Verstärkung herbeiholen. Wie machst du das ohne Worte, ohne Aufsehen, ohne einen Laut? Das ist die Kunst der Verständigung durch die stumme Zeichensprache. Sie mußt du beherrschen wie jedes deiner Glieder, denn dein Leben kann davon abhängen. Auch eine Grassandale, so niedrig ihre Stellung bei uns ist, lebt in ständiger Gefahr. Nicht die Polizei ist unser größter Feind, sondern …«
    »… die russische Mafia. Ich weiß es.«
    »Die Russen haben zur Täuschung auch Asiaten eingesetzt, aus ihren asiatischen Gebieten am Ussuri und aus Kasachstan. Viele sprechen Chinesisch. Wie willst du sie als Feinde erkennen, wenn sie dir als Gast gegenüber sitzen? Du mußt sie testen. Und das mußt du in den nächsten Tagen lernen und beherrschen wie das Atmen und Gehen.«
    Min Ju holte aus einer Aktentasche, die auf dem Tisch lag, ein großes Blatt Papier heraus und schob es Rathenow hin. Es war dicht mit Schriftzeichen

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