Der Schwarze Mandarin
mehr von ihm geben. Es muß sein, als habe es ihn überhaupt nicht gegeben.«
»Und Wang Liyun?«
Min hob die Schultern und schüttelte den Kopf. »Völlig uninteressant. Sie wird weiter als Reiseleiterin die ›Langnasen‹ herumführen und den heimlich Geliebten, Rathenow, vergessen. Sie wird einen Chinesen heiraten und ein Kind kriegen – was kümmert das uns noch?«
»Sie weiß zuviel!«
»Was weiß sie? Gar nichts!«
»Sie soll nicht verschwinden wie Bai Juan Fa?«
»Nein! Warum?«
»Sie soll doch für jeden Fehler Rathenows bestraft werden …«
»Das habe ich ihm gesagt, und er glaubt es, weil er ein verliebter Blinder ist. Kewei in Kunming wird sich hüten, sie auch nur in den Hintern zu zwicken. Ihr Vater, Professor Wang Biao, ist ein Jugendfreund des Parteisekretärs von Yunnan! Weißt du, was das bedeutet?«
»Kewei würde zum gejagten Wild.«
»Und das ist nicht nötig. Solange Bai Juan Fa daran glaubt, daß wir Wang Liyun unter unseren ›Schutz‹ gestellt haben, wird er gehorchen wie ein Büffel vor einem Pflug. Er glaubt uns alles.«
Rathenow fuhr sofort zurück nach Grünwald. Dort setzte er sich an die Schreibmaschine und tippte, was er von den Verhaltensweisen und Erkennungszeichen behalten hatte. Den beschriebenen Bogen schloß er in seinen Wandtresor ein. Er war so wertvoll, als lägen in dem Fach eine Million Mark.
In dieser Nacht schlief er ruhiger und träumte auch nicht. Er hatte sich endgültig damit abgefunden, ein Triade zu sein – aber gleichzeitig auch ein Maulwurf, der sich in die Geheimnisse des Bundes eingrub. Geheimnisse, die kein Weißer kannte und auch nie enträtseln konnte. Er war der erste und einzige, den die Triaden bei sich aufnahmen – weil sie ihn zum willenlosen Sklaven machen konnten, wenn sie nur ein Wort sagten: Liyun …
Um ein Uhr klingelte das Telefon. Rathenow, gerade eingeschlafen, richtete sich im Bett auf. Er ahnte, wer ihn um diese Zeit anrief.
»Laß das sein!« sagte er grob, bevor sich der Teilnehmer meldete. »Ich will schlafen!«
»Du warst wieder nicht zu Hause.« Dr. Freiburg hüstelte. Er bekam seine übliche Sommergrippe.
»Allerdings. Eine Frage: Schläfst du überhaupt nicht mehr? Kein Wunder, wenn die Patienten sagen: Wer nicht schlafen kann, soll zu Dr. Freiburg gehen. Ihn ansehen – und schon schläft man.«
»Haha … deine faulen Witze stammen aus der Ming-Zeit! Wie kann ich schlafen, wenn du dich auf einmal herumtreibst? Bist du allein im Bett?«
»Natürlich.«
»Auch das noch!«
»Ich will schlafen!« schrie Rathenow ins Telefon. »Bring deine Ferkeleien woanders an! Du hörst, ich bin zu Hause. Ich fühle mich wohl, meine Nerven haben sich beruhigt, ich drehe nicht mehr durch, und ich bedauere jetzt, dich überhaupt um Hilfe gebeten zu haben.«
»Ich bin dein Arzt und Freund …«
»Aber nicht um ein Uhr nachts, wenn ich gesund bin. Ende!«
Rathenow legte auf, drehte sich auf die Seite und schlief schnell wieder ein. Als er aufwachte, war es zehn Uhr am Vormittag. Sonntag vormittag. Ein traumhafter Augustmorgen.
Was mache ich mit diesem Sonntag? fragte er sich, während er sich duschte und dann rasierte. Jogging durch Grünwald? Herumfaulenzen in einem Biergarten? Nach langer Zeit mal wieder zum Tennis gehen oder zum Golfen? Auf keinen Fall sich an die Schreibmaschine setzen und arbeiten! Oder an einem neuen Buch arbeiten? Keine Lust. Ich weiß, der Verleger wartet auf das neue Buch über China, er hat seine Termine. Aber gerade Termine kann ich jetzt nicht brauchen. Leute, ich lerne die Triaden-Geheimsprache. Ich werde nie darüber schreiben dürfen, und deshalb ist ein Buch über meine letzte Reise durch China vorläufig kein Thema mehr. Was vorläufig heißt? Bis ich aus den Klauen der Drachen befreit bin! Das kann ein paar Jahre dauern. Wie ich mich befreien kann? Das weiß ich heute noch nicht! Ich weiß nur, daß es einmal geschehen wird.
Was also soll man am Sonntag morgen tun?
Rathenow entschloß sich, erst in einen Biergarten zu gehen und dann eine Runde Golf auf dem schönen Golfplatz von Straßlach zu spielen. Er hoffte, dort nicht Dr. Freiburg anzutreffen, der Handicap elf hatte und ihn immer mit Eleganz besiegte. Heute hatte er absolut keine Lust auf dessen Witze.
Im Biergarten ›Grünwalder Eiche‹ herrschte bei diesem Sommerwetter Hochbetrieb. Fast alle Tische waren besetzt, vor allem von Radfahrern und Wanderern, die in den Waldgebieten Erholung suchten. Rathenow fand noch einen Platz an einem
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