Der Schwarze Mandarin
sich herum, daß es nicht merkt, wenn man ein Pfund von ihm abschneidet. Willst du, daß ich mir das Pfund hole? 3.000 Mark, das ist für dich wie ein Kännchen Tee. Was meinst du?«
»Ich schwöre … dieser Monat war eine Katastrophe für mich!«
»Jetzt sagst du die Wahrheit, mein Dicker!« Ninglin griff plötzlich zu, legte seine Hände um Jiasongs Hals und drückte zu. Mit einem unterdrückten Schrei prallte der Wirt gegen die Wand, seine Augen quollen hervor, durch seinen Körper lief ein konvulsivisches Zucken. Er trommelte mit den Beinen auf den Boden und ruderte mit den Armen durch die Luft. Als sein Gesicht blau anlief, ließ Ninglin ihn los. Jiasong taumelte gegen die Theke und hielt sich an ihr fest. Er japste nach Luft.
»Du bist doch ein ehrlicher Mensch«, sagte Ninglin eindringlich. »Gesteh, daß du 4.000 Mark zahlen kannst.«
»Ich zahle.« Sein Röcheln wurde von einem Hustenanfall unterbrochen. »Ich zahle 4.000 Mark.«
»So ist es gut, Jiasong. Und vergiß die Summe nicht, wenn mein Bruder zu dir kommt und dich höflich bittet.« Er tippte auf die Liste. »Hong Bai Juan Fa … bessere die Zahl aus. Nicht 3.000, sondern 4.000. Und du, Jiasong, vervollständige deine Goldbarsche.«
Jiasong nickte. Zum Sprechen war er noch nicht fähig. Ninglins Griff war tödlich, und er war nahe daran gewesen, die Besinnung zu verlieren. Er ging in die Küche, zog eine Schublade auf und kam mit 4.000 DM zurück. Er warf sie auf die Theke, aber Ninglin schüttelte bedauernd den Kopf.
»Es sind 4.000!« stöhnte Jiasong.
»Überreicht man so einem Cho Hai seine Lebensversicherung? Einfach das Geld auf die Theke knallen? Hast du alle Höflichkeit verlernt? Laß sehen, wie die Scheine sind. Dreimal ein Tausender … du hast das Geld also bereitgehalten – und zehn Hunderter –, das sind dreizehn Scheine. Und nun nehme ich Schein nach Schein auf und erinnere dich daran, daß chinesische Höflichkeit in der ganzen Welt beliebt ist.«
Ninglin nahm den ersten Tausender mit der linken Hand, aber gleichzeitig krachte seine rechte Faust mitten in Jiasongs dickes, rundes Gesicht. Der Gastwirt lehnte sich wieder haltsuchend an die Wand, aber er schwieg.
Dreizehnmal schlug Ninglin zu, auf die Augen, auf die Nase, auf den Mund, und Jiasong rührte sich nicht, hatte die Augen geschlossen, und sein Kopf prallte bei jedem Schlag gegen die Wand. Ruhig zählte Ninglin mit, während er mit der Linken die Scheine an Rathenow weitergab. Jeder Schein ein Hieb, jeder Schein die Mahnung: Lerne Höflichkeit, Jiasong.
Beim fünften Schlag begann seine Nase zu bluten, der siebte Schlag schloß das linke Auge, der neunte Schlag ließ die Lippen aufplatzen, der zehnte ließ das Jochbein schwellen, der dreizehnte und letzte Hieb riß die linke Augenbraue auf. Das Blut lief über Jiasongs Gesicht, aber er stand da, ohne einen Schmerzenslaut von sich zu geben und ohne die Arme zur Abwehr hochzureißen. Er wußte: Jede Gegenwehr war sinnlos. Ninglin war ein Mensch, der sich an den Qualen seiner Opfer weiden konnte. Je mehr er sich wehrte, um so grausamer wurde sein Vernichtungswahn. Jiasong wandte sein zerstörtes Gesicht Rathenow zu. Es kostete Überwindung, ihn anzusehen. Rathenows Nerven vibrierten.
»Wann kommst du wieder?« fragte Jiasong. Es klang, als habe er alle Zähne ausgeschlagen bekommen.
»Nächsten Monat«, antwortete Rathenow und dachte: Gibt es denn niemanden, der diese Bestie Ninglin umbringt?
»Ich werde dich höflich empfangen«, sagte Jiasong, als spräche er einen vorgegebenen Satz nach. »Ich wünsche einen guten Tag.«
Ninglin nickte Rathenow zu. Sie verließen den ›Blühenden Garten‹ und schlenderten zu dem parkenden Auto zurück. Als sie wieder nebeneinander saßen, stieß Ninglin seinen Ellenbogen in Rathenows Seite.
»Hast du dir gemerkt, wie man mit solch dummen Menschen umgeht? Das wird dir auch passieren.«
»Ich werde nie einen Menschen schlagen können.«
»Das weiß ich. Du bist ein Weichling, der schreiben, essen, trinken und vögeln kann. Und dann glaubst du, ein Mann zu sein! Dich wird das Leben immer bescheißen.«
»Bisher habe ich das noch nicht bemerkt.«
»Weil du ein reicher Mann bist. Weil du es nie nötig hattest, um ein Stück Brot zu kämpfen, und erst recht nicht um dein Leben. Du liebst die Menschen – aber sie sind es nicht wert.«
»Und mit dieser billigen Philosophie tötest du Menschen oder quälst sie zu Tode?«
»Ich kenne keine Philosophie. Ich töte, weil ich den
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