Der Schwarze Mandarin
es nicht, Yunyu.«
Wei Yunyu, seit einem Jahr verheiratet und schwanger im fünften Monat, schob Liyun ein Blatt über den Tisch.
»Ich will eine Ausnahme machen, weil wir Freundinnen sind. Ich verrate nichts … schick ihm noch ein Fax.«
»Das gehört sich nicht, Yunyu. Ein Mädchen läuft keinem Mann nach. Das wäre, als wenn ich mich anbiete.«
»Ist das so schlimm?«
Liyun schob das Papier zurück. »Würdest du es tun?«
»Wenn ich einen Mann so sehr liebte wie du diesen Hans … ich täte es. Und ich würde nie denken: Du verlierst dein Gesicht. Wahre Liebe entschuldigt alles. Männer sind manchmal rätselhaft und eigentümlich. Sie brauchen einen Stoß in die Rippen oder ins Herz, um wach zu werden und die Wirklichkeit zu erkennen. Die meisten schlafen vor sich hin.« Wei Yunyu legte ihre Hand auf Liyuns Finger. Obwohl es draußen warm war, waren Liyuns Hände eiskalt. »Ich kenne die Männer. Oft muß man sie an die Hand nehmen und führen wie ein Kind. Sonst tappen sie ziellos herum.«
»Ich weiß nicht … Ich habe nicht so viel Erfahrung wie du. Ich hatte bis jetzt nur einen Freund: Shen Zhi. Ich habe mich von ihm getrennt.«
»Wegen dem Deutschen?«
»Auch. Ich kann ihn nicht belügen – und jeder Kuß wäre jetzt eine Lüge.«
»Und wenn dieser Hans nichts mehr von sich hören läßt, was wirst du dann tun?«
»Ich weiß es nicht.« Liyun legte den Kopf weit in den Nacken. »Vielleicht werde ich einen chinesischen Mann heiraten, den ich nicht liebe. Vielleicht werde ich ein Kind bekommen, weil ich es nicht verhindern kann. Ich werde das Leben einer chinesischen Ehefrau leben. Wie Millionen unserer Frauen. Aber ich will nicht daran denken. Ich weiß, daß Hans schreiben wird!«
»Du weißt gar nichts, Liyun.«
»Ich fühle es. Er hat doch schon die Einladung und die Reiseanträge weggeschickt.«
»Wohin?«
»An die deutsche Botschaft in Beijing.«
»Dann ruf dort an und erkundige dich, ob die Einladung angekommen ist.«
»Das möchte ich nicht. Ich will die deutsche Botschaft nicht belästigen. Die Deutschen sind jetzt so streng geworden. Wenn ich anrufe, könnten sie böse werden.«
»Und in solch ein Land willst du fliegen?«
»Ich fliege zu Hans. Das Land ist mir egal. Wo immer er ist, ich würde zu ihm kommen.«
»Wenn er dich so liebt wie du ihn.« Wei Yunyu schob ihr wieder das Blatt Papier zu. »Schick ein Fax! Nur einen einzigen Satz, das genügt: Ich liebe Dich. Liyun.«
»Unmöglich.« Liyun schüttelte den Kopf. Ihre langen Haare flogen um ihren Kopf. »Das gehört sich nicht! Ich würde mich schämen. Und er wird denken: Sie ist wie alle Frauen, die einen reichen Mann suchen und sich anbieten. Du tätest es, nicht wahr, Yunyu?«
»Ja, ich täte es. Man muß das Glück festhalten, ehe es wegläuft. Du bist sonst so klug, aber hier bist du wie ein Sumpf voll Dummheit.«
»Ich bin anders erzogen als du, Yunyu. Und ich kann das nicht abschütteln. Es war schon schwer genug, meinen Vater davon zu überzeugen, daß ein Besuch bei einem deutschen Mann keine Schande ist. Nur weil Dr. Rathenow einen so bekannten Namen hat, gab er mir die Erlaubnis. Aber er tat es ungern – das hat Mama mir hinterher verraten. Und auch sie war nicht begeistert von der Einladung. ›Das ist eine Welt, die du nicht verstehst‹, hat sie gesagt. ›In diese Welt gehörst du nicht hinein.‹ Wie kann ich da ein Fax schicken: ›Ich liebe Dich!‹? Unmöglich.«
»Vielleicht faxt er doch noch. Ich sage dir sofort Bescheid.« Wei Yunyu machte keinen Hehl daraus, daß sie Liyun bedauerte. »Und wenn nicht – vergiß ihn, Liyun! Es gibt genug Männer auf der Welt.«
»Ich werde ihn nie vergessen. Bis an mein Lebensende nicht.«
»Ist er ein so toller Liebhaber?«
»Wir haben uns nicht einmal geküßt!« sagte Liyun steif und stand auf. »Du kannst es ja mal probieren.«
»Wie? Das wäre ein Erlebnis!« Wei Yunyu lachte etwas ordinär. »Aber ich komme ja nicht aus dem Büro heraus. Da hast du es besser. Du bist dauernd mit Männern zusammen. Und ihr habt euch nie geküßt? Liyun, bist du ein Vögelchen ohne Stimme? Ach, wenn ich an deiner Stelle wäre …«
Mit quälenden Gedanken verließ Liyun das Büro des CITS und fuhr mit dem Rad zu ihrer kleinen Wohnung. Ihre Kollegin, mit der sie die Wohnung teilte, war mit einer französischen Gruppe unterwegs zum Steinwald und kam erst am späten Abend zurück. Sie war allein. Liyun ging unter die Dusche, ließ das Wasser über sich rinnen, bis sie zu
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