Der Schwarze Mandarin
Lebens.«
»So ähnlich hast du's auch zu Franziska gesagt.«
»Man kann sich irren. Ich bin doch auch nur ein Mensch! Und ich rufe dich nur an, um dir meine Freude mitzuteilen, nicht, um von dir Ratschläge zu bekommen. Sonnabend ist Liyun bei mir.«
»Und bis dahin – das sind noch vier Tage – willst du Franziska erklären, daß sie ein Irrtum war? Bitte – ich werde dir im Klinikum Großhadern ein Bett reservieren lassen: Unfallstation oder Gesichtschirurgie.« Freiburg wurde jetzt sehr ernst. »Und was tust du, wenn Franziska sich umbringt? Kannst du mit dieser Belastung leben?«
»Das wird sie nie tun. Dazu lebt sie viel zu gern. Sie wird darüber hinwegkommen.«
»Und der Tennis-Club wird dich mit Mißachtung bestrafen.«
»Ich trete aus dem Club aus.«
»Und auch aus dem Golf-Club?«
»Ja, auch.«
»Du bist völlig verrückt!«
Rathenow legte auf. Mit Freiburg zu sprechen, hatte gar keinen Sinn. Für ihn wäre Liyun nur ein Spielzeug. Ja, ich werde Liyun zuliebe alles aufgeben – auch dich, Dr. Freiburg, wenn du Liyun nicht anerkennst. Ich lebe nicht für die Münchener Schickeria – ich will für Liyun leben. Mich kotzt das hohle Geschwätz überhaupt an. Mein lieber Rathenow, woher beziehen Sie jetzt Ihren Kaviar? Zum Wahnsinnigwerden!
Die folgenden zwei Tage war er wieder für die Triaden unterwegs und kassierte ohne Schwierigkeiten die Schutzgelder der China-Wirte. Viele von ihnen begrüßten ihn jetzt wie einen guten Freund. Sie alle waren froh, daß der Drache Ninglin nicht mehr bei ihnen erschien und sie Bai Juan Fa betrügen konnten, indem sie weniger Goldbarsche in die Aquarien setzten, als ihr Umsatz gefordert hätte. Wenn Rathenow die Schutzgeldgebühren auch ab Ostern um je 500 DM erhöhte – sie nahmen es klaglos hin, denn Gegenwehr und eine Überprüfung der Bücher hätten unweigerlich Ninglin herbeigerufen. Und was das bedeutete, das hatte man oft genug gesehen oder gehört. Diese Warnungen vergaß niemand. Min Ju aber freute sich über die Erfolge. Er lebte immer noch, ohne Schmerzen, ohne dünner zu werden, ohne ein unangenehmes Gefühl im Bauch. Das halbe Jahr, das ihm Dr. Freiburg noch gegeben hatte, war längst verstrichen. Aus Amsterdam schickte Prof. Sun Quanfu regelmäßig seine selbst hergestellten Tabletten und Säfte, deren Zusammensetzung er keinem verriet. Und hätte er sie bekanntgegeben, hätte die selbstherrliche Schulmedizin verächtlich reagiert: nicht wissenschaftlich fundiert! Kein eindeutiger Nachweis durch Tierversuche. Keine Blindversuche an Patienten. Kein Okay der Bundesgesundheitsbehörde. Keine Erfahrungs-Statistiken. Hokuspokus …
Aber Min Ju lebte noch – und er war gesünder als vorher.
Am Donnerstag abend – Franziska hatte für Rathenow eine seiner Lieblingsspeisen gekocht: Klopse mit Kapernsoße und neuen Kartoffeln – holte Rathenow eine gute Flasche Rotwein aus dem Weinkeller, einen 1983er Château Margaux, goß ein und reichte Franziska ein Glas. Franziska, in einem hinreißenden Hosenanzug, lehnte sich weit im Sessel zurück. Sie saßen im Salon. »Was feiern wir, Liebling?« fragte sie. »Hast du deine Arbeit fertig?«
»Nein …«
»Einen neuen Auftrag?«
»Auch nicht. Wir … wir feiern Abschied, Franziska.«
»Oh, du verreist wieder? Wohin? Warum hast du mir nichts gesagt, Liebling? Eine Überraschung? Wohin fahren wir – ich bin gespannt!«
»Es ist keine Reise, Franziska.« Rathenow nahm allen Mut zusammen, aber er spürte, wie sich sein Herz verkrampfte. »Ich … ich habe dir doch einmal von Wang Liyun erzählt!«
»Die kleine Chinesin, die du in … wo war das noch mal?«
»In Kunming.«
»… ja, in Kunming kennengelernt hast. Deine Reiseführerin.« Sie sah ihn mit einem Lächeln an, und ihre rotgeschminkten Lippen glänzten im Licht der englischen Mahagoni-Standleuchte. »Was ist mit ihr?«
»Sie ist in Deutschland.«
»Ach! Wie schön für sie …«
»Sie ist in Saarbrücken bei einem Rechtsanwalt Dr. Frantzen. Übermorgen kommt sie nach München. Zu mir.«
»Muß das sein?«
»Ja. Ich habe sie eingeladen.«
»Eine Chinesin, die du vor fast einem Jahr flüchtig kennengelernt hast? War das nötig?«
»Ja. Franziska, ich will ehrlich sein!« Rathenow holte tief Luft. »Sie war für mich mehr als eine Reiseleiterin und Dolmetscherin.«
Schweigen.
Franziska stellte das Weinglas zurück auf den Tisch und sah Rathenow eine Zeitlang stumm an. Es waren entsetzliche Sekunden für Rathenow.
»Ich hätte es wissen
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