Der Schwarze Mandarin
hat mich Herr Frantzen abgeholt. Er hat ein wunderschönes Haus hier in Saarbrücken. So etwas Wunderbares habe ich noch nie gesehen.«
»Liyun, ich hole dich sofort ab.«
»Nein, ich komme zu Ihnen. Mit dem Zug …«
»Das ist zu umständlich. Du mußt sicherlich umsteigen, du mußt den Bahnsteig suchen.«
Und Liyun antwortete fröhlich, als amüsiere sie sich über Rathenows Bedenken: »Ich kann doch Deutsch …«
»Wann fährst du?«
»Da muß ich Frau Frantzen fragen. Einen Moment.« Er hörte, wie sie nach ihrer Gastgeberin rief, hörte Frau Frantzen kommen und das Geflüster. Dann meldete sich Frau Frantzen selbst.
»Hier Frau Frantzen.«
»Gnädige Frau, hat Ihnen Liyun gesagt, um was es geht?«
»Ja. Soeben. Es freut uns, daß Sie Liyun nach München einladen. Sie will mit dem Zug kommen. Das finde ich vernünftig.«
»Ich komme selbstverständlich für die Unkosten auf.«
»Herr Rathenow, ich bitte Sie, das ist doch kein Diskussionsthema! Ich schlage vor, daß wir Liyun am Sonnabend in den Zug setzen. Sie ist uns in den acht Tagen schon richtig ans Herz gewachsen. Liyun ist eine bezaubernde junge Frau.«
»Da stimme ich Ihnen uneingeschränkt zu, gnädige Frau.«
»Mein Mann und ich haben auch einige Ihrer Reisebericht gelesen.«
»Das ehrt mich.«
»Vor allem Ihr Buch ›Das Geheimnis der philippinischen Wunderheiler‹. Waren Sie wirklich bei ihnen?«
»Ja. Die Fotos auf dem Schutzumschlag und auf der Rückseite sind von mir.«
»Wir reisen auch sehr gern … aber in zivilisiertere Gegenden. Kunming war ein Ausbrecher in eine noch unbekanntere Welt.«
»Es hat sich gelohnt – Sie haben Liyun kennengelernt und nach Deutschland geholt. Ohne Sie hätte ich nie mehr etwas von Liyun gehört. Ich danke Ihnen.«
»Dann bis Sonnabend, Herr Rathenow. Die genaue Ankunftszeit von Liyun faxe ich Ihnen noch durch. Liyun hat ja Ihre Fax-Nummer.«
»Ich werde immer in Ihrer Schuld stehen, gnädige Frau.«
»Aber nein! Wir tun es doch gerne.«
Rathenow war nach diesem Telefongespräch nicht mehr fähig, noch irgend etwas Vernünftiges zu tun. Den Rest des Tages schwebte er über den Wolken: Sie kommt. Liyun kommt. Liyun kommt.
Er trank zwei seiner geliebten Wodkas mit Orangensaft, legte eine CD mit der Egmont-Ouvertüre von Beethoven auf, von Karajan dirigiert – und konnte doch keine Minute ruhig sitzen.
Liyun kommt …
In seinem Glückstaumel rief er Dr. Freiburg an. Die Sprechstundenhilfe verband ihn sofort. Aber Freiburg war nicht besonders freundlich.
»Was willst du?« bellte er. »Ich habe Sprechstunde! Wenn du schreibst, willst du ja auch nicht gestört werden!«
»Ich bin Patient. Ich platze …«
»Nach deiner Liaison mit Franziska dürftest du keine Probleme mehr haben.«
»Ich platze vor Glück! Liyun kommt!« rief Rathenow. Es klang fest wie ein Aufschrei. »Stell dir vor – sie kommt!«
»Bist du sicher, oder hast du das nur geträumt?«
»Sie ist schon in Deutschland. In Saarbrücken.«
»O Scheiße!«
»Ist das alles, was du zu sagen hast?«
»Nein. Such dir eine Hütte im Wald, wo du dich verstecken kannst. Franziska wird dich umbringen! Sie rechnet mit einer baldigen Hochzeit. Und jetzt willst du wieder chinesische Äpfelchen naschen? Das kannst du nicht machen, Hans.«
»Plötzlich redest du von Moral? Junge, versteh doch: Ich hatte Liyun verloren geglaubt – und nun ist sie hier!«
»Was ändert sich dadurch? Du liebst Franziska doch.«
»Ich habe geglaubt, ich liebe sie.«
»Und jetzt willst du plötzlich ohne Bedenken die Beziehung beenden?«
»Ohne Bedenken? O nein. Ich habe eine Menge Bedenken und Schuldgefühle Franziska gegenüber. Aber sie muß einsehen …«
»Sie muß gar nichts! Du kannst von einer liebenden Frau nie und nimmer verlangen, daß sie Verständnis aufbringt, wenn du ihr sagst: ›Wir müssen uns trennen. Die Vergangenheit hat mich eingeholt.‹ Jede Frau wird dagegen ankämpfen, und du kennst Franziska nun gut genug, um zu wissen, wie sie reagieren wird. Sie wird dieser Chinesin die Haare ausreißen und das Gesicht zerkratzen – das ist das mindeste! Und du wirst als Schuft dastehen, der einer Frau, die ihn wirklich liebt, einen Tritt in den Hintern gegeben hat. Mensch, Hans, wach doch auf! Was willst du mit einer Chinesin? Liyun mag wunderhübsch sein – so etwas vernascht man, aber man heiratet es nicht!«
»Genau das paßt zu deiner Lebenseinstellung. Für mich ist Liyun kein Spielzeug, sondern die Erfüllung meines
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