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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kopf und blickte in ihren Schoß. Was geht das mich an? Er ist ein kluger und berühmter Mann, und wenn ich ihn in den nächsten Wochen durch die Länder der Minderheiten führe, wird sich zeigen, was für ein Mensch er ist. Und überhaupt – was kümmert es mich, wie er ist? Er ist ein Tourist, ein VIP, und ich habe die ehrenvolle Aufgabe, ihn zu begleiten und ihm alles zu zeigen, was er sehen will. Ehrenvoll – ja, man muß ihn mit großer Ehre ansehen. Die Zentrale in Beijing erwartet einen guten Bericht.
    Während der Fahrt zum Hotel ›Goldener Drache‹ gingen ihr viele Gedanken durch den Kopf, aber merkwürdigerweise dachte sie nicht einen Augenblick mehr an Shen Zhi, den Journalisten in Dali. Sie dachte nicht mehr an Freitag und das Tanzen in der Diskothek, sie dachte nur noch an den berühmten Mann hinter ihr, der so ganz anders war als in ihrer Phantasie. Wie sagte Laotse: »In den Gedanken schläft schon das wahre Ich.«
    Kurz vor dem Hotel beugte sich Rathenow nach vorn und berührte ihre Schulter. Wie unter einem elektrischen Schlag zuckte es durch ihren Körper.
    »Ich habe eine Frage«, sagte er. Sie spürte seinen Atem in ihrem Nacken; es war ein völlig fremdes Gefühl.
    »Bitte, Herr Rathenow.«
    »Wie darf ich Sie anreden? Wang oder Liyun?«
    »Wie Sie wollen …«
    »Wie haben die anderen Touristen Sie angesprochen?«
    »Sie sagten: Frau Wang …«
    »Also dann: Frau Wang.«
    Rathenow lehnte sich wieder auf seinen Sitz zurück. Frau Wang! Welch eine Anrede für ein so blutjunges Mädchen. Frau … es fiel ihm schwer, das zu sagen. Er hätte sie lieber Liyun genannt.
    »In China hat doch jeder Name seine Bedeutung«, sagte Rathenow. »Was bedeutet Wang?«
    »Ein normaler Familienname.« Liyun drehte den Kopf zu ihm und sah in seine aufreizend blauen Augen. »Man kann ihn sinngemäß übersetzen mit ›Der König‹.«
    »Und Liyun?«
    »Das heißt ›Das schöne Mädchen‹.«
    »Bravo! Ihre Eltern müssen Hellseher gewesen sein … Sie haben den richtigen Namen. Goldrichtig! Sie könnten gar nicht anders heißen als Liyun.«
    »Bevor ich geboren wurde, hat meine Mutter eine Wahrsagerin gefragt. Sie hat den Namen vorgeschlagen.«
    »Auch wenn ich nicht an Wahrsagerei glaube – hier hat sie die Wahrheit gesehen! Darf ich Sie vielleicht doch Liyun nennen?«
    »Gern …« Sie sah ihn mit ihren dunklen Mandelaugen an und drehte sich dann schnell wieder um. Sie spürte, wie Röte in ihre Wangen kroch, und sie schämte sich dafür. Du bist ein dummes, dummes Weib, sagte sie zu sich. Sieh ihm nicht in die Augen! Reagiere nicht auf solche Worte! Denk immer daran: Er ist ein VIP, ein berühmter Mann! Und: Männer reden oft solch dummes Zeug … hör nicht hin! Aber es fiel ihr schwer, sich daran zu halten.
    Sie atmete auf, als das hohe Gebäude des Hotels ›Goldener Drache‹ vor ihnen auftauchte, sie die Auffahrt hinaufdonnerten und mit laut quietschenden Bremsen unter dem weiten Vordach vor den Glastüren hielten. Rathenow beugte sich wieder nach vorn.
    »Muß ich für unsere Reise eine extra Lebensversicherung abschließen?« fragte er. »Der Fahrer ist ja lebensgefährlich.«
    »Wen Ying ist der beste Fahrer, den wir haben.«
    »O Himmel! Darauf muß man sich einstellen.«
    »Bei Wen Ying ist noch nie etwas passiert.«
    »Noch nicht! Es ist nur eine Frage der Zeit.«
    »Haben Sie Angst, Herr Rathenow?«
    »Nicht direkt … aber ich möchte mein nächstes Buch über China noch schreiben.«
    Der Fahrer war sitzen geblieben; zwei Boys des Hotels luden die Koffer aus und trugen sie ins Innere. Das war ihre und nicht Wen Yings Aufgabe. Am Flughafen war das anders gewesen, da gehörte das Gepäcktragen zum Empfang. Aber hier im Hotel war es die Pflicht der Pagen. Man soll niemandem die Arbeit wegnehmen! Auch in einer kommunistischen Gesellschaft herrscht eine strenge Hierarchie. Jedem das Seine – es gibt viele Möglichkeiten, Maos Ideen auszulegen.
    Immerhin bewegte sich Wen jetzt vom Lenkrad weg, ging um den Wagen herum und öffnete die hintere Tür. Rathenow stieg aus. Es war ein warmer Nachmittag, brütende Hitze lastete auf den Menschenmassen, dem Staub der Straßen, den Tausenden Fahrrädern und Karren, den stinkenden Lastwagen. Vor dem Hotel war die Luft etwas reiner. Hier schossen in einem großen runden Brunnen aus fünf Fontänen Wassersäulen in die Luft, die einen Schleier bildeten zwischen Straße und Eingang. So hätte es zumindest sein sollen – aber wenn von fünf Fontänen nur drei

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