Der Schwarze Mandarin
es geahnt. Die plötzliche Ruhe am Schutzgeld-Schauplatz ist mehr als verdächtig. Es wird nach wie vor kassiert, aber die Wirte zahlen freudig! Kein Strafüberfall mehr. Überall eitel Freude. Die Gummiwand ist dicker geworden. Was nutzen alle Razzien? Wohin wir kommen: Lächeln, Schweigen, ein Fläschchen Pflaumenwein als Gastgeschenk … und Sense! Diese Höflichkeit zerreißt meine Nerven. Ich weiß: Der Bursche da weiß viel, so viel, daß wir ein Stückchen weiterkommen könnten … aber er schweigt wie eine Muschel. Natürlich kann man Muscheln aufbrechen … aber nicht mit unseren Gesetzen. Die gestehen den Gangstern Persönlichkeitsrechte zu und treten uns in den Hintern. Persönlichkeitsrechte für die Entlarvung von Mördern und Verbrecherbanden! Wenn heute ein Polizist schießt, selbst in Notwehr, wird eine hochnotpeinliche Untersuchung angeordnet. Er muß sich verantworten und nachweisen, warum er sich nicht hat erschießen lassen. Die Presse fällt wie Geier über ihn her, das Begräbnis des Gangsters wird zum Medienereignis, und der Polizist, der nur sein Leben verteidigt hat, wird zum uniformierten Täter gestempelt. Wie war es bei den RAF-Morden an Schleyer und Herrhausen? Alle sprachen von den Mördern, aber kaum einer von den erschossenen Polizisten. Ist ja nur ein ›Bulle‹! Ich möchte am liebsten auf diesen ganzen Kram scheißen, mich pensionieren lassen und auf Mallorca in die Sonne legen.«
Es war nur ein Ausbruch bitterster Enttäuschung. Jeder im Polizeipräsidium wußte, daß Oberrat Peter Probst nie aufgeben würde. Nie! Sein Kampf gegen die organisierte Kriminalität war seine Lebensaufgabe, die er nicht in andere Hände geben würde.
Min Ju blickte von seiner Zeitung auf, als Rathenow eintrat. Er ließ sie auf den Boden fallen und lehnte sich in seinem Sessel zurück.
»Du hast die Zeitungen gelesen?« fragte Min.
»Ja, Daih-Loh.«
»Sie lügen! Die Polizei hat keine heiße Spur. Sie hat nicht einmal ein Körnchen einer Spur. Mach dir keine Sorgen, Hong Bai Juan Fa.«
»Ich mache mir Sorgen um deine Worte, Bruder: ›Wir brauchen dich!‹ Ich tauge nicht für einen Krieg. Ich kann keinen Menschen töten! Ich möchte mit der Russen-Mafia nichts zu tun haben.«
»Das weiß ich. Du schreibst Bücher über abenteuerliche Reisen, aber selbst bist du ein Schwächling. Ein Gehirnabenteurer. Ein Tintenpisser. Du hast dich gut eingelebt als Grassandale – und mehr wirst du nicht. Ich will nur, daß du deine Schützlinge zusammenhältst. Wenn sie denken, der Krieg gegen die Russen hätte uns geschwächt, dann mußt du ihnen unsere Stärke zeigen. Es wird in den nächsten Monaten zu vielen Schlachten kommen, und wir werden sie gewinnen, denn wir sind schneller als die Russen. Sie sind die Bären, aber wir sind die Schlangen, die sie mit einem Biß töten. Was wirst du tun, wenn sie in dein Revier kommen?«
»Ich melde es dir.«
»Und was machst du selbst?«
»Ich werde die Wirte warnen. Ninglin hat dafür gesorgt, daß sie die Warnungen verstehen.«
»Und wenn die Russen ihnen Schutz gegen uns anbieten? In Nürnberg ist das schon geschehen. Gehst du dann weg wie ein geprügelter Hund?«
»Ich kann nicht Frauen und Kinder mißhandeln. Das könnt ihr nicht von mir verlangen.«
»Du hast die Blut-Eide geschworen. Du hast den weißen Hahn geköpft … und denk an Liyun!«
»Liyun!« Rathenow trat nahe an den Schreibtisch heran. Min Ju starrte ihn mit hochgezogenen Schultern an. »Du hast mich belogen, Min Ju. Du hast mich willenlos gemacht, zu einem Sklaven, indem du mir Liyuns Locken und ihren Fingernagel gegeben hast. Beides stammt nicht von ihr!«
»Mir war klar, daß mein kleiner Betrug herauskommen mußte, als Liyun nach Deutschland kam. Es sollte ja auch nur eine Mahnung sein: Sieh, so kann es auch Wang Liyun ergehen. Und du hast es begriffen. Die kleine Täuschung war erfolgreich. Nun ist Liyun bei dir und für uns jederzeit greifbar. Es ist leichter geworden, dich von den Pflichten gegenüber deiner Bruderschaft zu überzeugen.« Min Ju lächelte breit. »Aber warum reden wir darüber? Du warst bisher ein guter Cho Hai und wirst es weiter bleiben. Deine neue Aufgabe ist leicht. Du sollst beobachten, nichts weiter. Kein Russe weiß, daß nicht ein Chinese die Schutzgelder kassiert, sondern ein Deutscher. Sie wissen von dir so wenig wie die Polizei. Setz dich in die Lokale als ein willkommener Gast, nicht als Grassandale, und sieh zu, ob ein Russe in den Hinterräumen
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