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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Pfeife nicht? hieß dieser Blick. Das ist ein seltenes Stück. Mein Großvater hat noch daraus geraucht. Sieh dir nur das Mundstück an – es ist ein Kunstwerk! Wo bekommst du noch eine solche Opiumpfeife?
    »Ich gebe dir 60 Yuan dafür«, sagte Liyun, so, als sei der Preis endgültig.
    Der Alte leckte sich über die schmalen Lippen und bleckte die Zähne. Ihm fehlten zwei Vorderzähne.
    »Tochter«, sagte er mit schwankender Greisenstimme, »du hast kein Gefühl für Alter und Kunst. 200 Yuan, sonst brauchen wir nicht weiterzureden …«
    »Ehrwürdiger Onkel … ich erhöhe auf 80 Yuan. Das ist mein letztes Wort.« Liyun nahm die Pfeife vom Tisch und reichte sie Rathenow.
    »Mein Urgroßvater und mein Großvater …«, murmelte der Greis.
    »Selig mögen sie sein. Wer, außer mir, gibt dir schon 100 Yuan für solch eine verfluchte Pfeife?«
    »Sagtest du 100 Yuan, Tochter?«
    »Ja, das sagte ich.«
    »Die Klugheit siegt, denn sie ist die größte Kraft. Ich freue mich, daß gerade du das Erbe meiner Vorfahren kaufst.«
    Rathenow war bei dem Handel zwei Schritte vom Tisch zurückgetreten und hatte an dem rauchgeschwärzten Pfeifenkopf gerochen. Ein süßlicher Duft zog in seine Nase, und es schien, als saugten sich seine Schleimhäute gierig voll. Sieh an, dachte er, aus dieser Opiumpfeife ist vor kurzem noch geraucht worden. Dieser Duft hält sich nicht über hundert Jahre. Er ist frisch, als habe man die Pfeife gestern aus der Hand gelegt. Auch an dem wunderschönen, geschnitzten grünen Jade-Mundstück klebte ein Hauch von Süße. Rathenow ließ die Opiumpfeife schnell sinken, als sich Liyun zu ihm umdrehte.
    »Sie gehört Ihnen«, sagte sie.
    »Wie kann ich Ihnen danken?«
    Sie gab keine Antwort, griff in ihre bunt bestickte Umhängetasche, die sie immer um den Hals trug, und bezahlte den Alten. Er zählte langsam und mit Würde die Scheine nach und nickte dann. Erst nach dem Abzählen streckte der Greis die Hand aus und wickelte die Pfeife in feines, dünnes Seidenpapier.
    »Wieviel schulde ich Ihnen, Liyun?« fragte Rathenow.
    »100 Yuan.«
    »Sagen Sie bloß, Sie haben für dieses Goldstück nur 100 Yuan bezahlt?«
    »Nicht einen Fen mehr.«
    »Das sind ja nur dreißig Deutsche Mark!«
    »Es ist das Gehalt für einen halben Monat eines chinesischen Arbeiters. So müssen Sie rechnen, nicht mit kapitalistischen Zahlen.«
    Der Rundgang über den brodelnden Markt dauerte eine Stunde. In einer Straße mit Stoffhändlern kaufte sich Liyun noch von einem dicken Ballen Stoff für ein Sommerkleid, hellblaues Leinen mit weißen Tupfen und einer Spitzenkante.
    »Können Sie auch nähen?« fragte Rathenow.
    »Nein, ich habe eine gute Schneiderin in Kunming. Fürs Nähen bin ich zu unbegabt.«
    Als sie zurückkamen, wartete Wen Ying neben dem Wagen. Ying rauchte eine Zigarette und hatte eine Flasche Bier in der Hand. Als er Rathenow und Liyun sah, schnaufte er röchelnd auf und befreite sich von einem dicken Schleimpfropfen.
    »Gott sei Dank, den wären wir los!« sagte Rathenow sarkastisch und stieg in den Wagen. Er blickte noch einmal über den Bauernmarkt. Das ist das echte China … nur wenige lernen es kennen. Wer in Shanghai über den Bund, die Prachtstraße, gebummelt ist und nachher erzählt, er kenne China, der ist ein Narr. China beginnt dort, wo hundert Jahre wie ein kurzer Schlaf sind … so wie es auf dem Pfeifenmundstück eingeritzt ist.
    Von dem süßen Geruch und dem Verdacht, daß noch vor kurzem aus der Pfeife Opium geraucht worden war, sagte er Liyun nichts.
    Das war ein Fehler, wie sich herausstellte.
    *
    Luo Huanqing lagerte mit seiner zwölf Mann starken Soldatengruppe unmittelbar an der Burma-Straße zwischen den Orten Nan Hua und Midu. Bis Dali waren es noch 136 Kilometer, die Straße stieg leicht an, links und rechts standen hohe Bäume, grau vom Staub, den die Lastwagen aufwirbelten. Drei Soldaten der Gruppe standen am Straßenrand und beobachteten mit geübtem Blick jeden Wagen, der an ihnen vorbeifuhr. Ab und zu hielten sie einen Lastwagen an und kontrollierten ihn, wühlten in der Ladung herum und verhörten den Fahrer. Zu diesem Zwecke kamen den dreien immer fünf weitere Soldaten zu Hilfe, die entsicherten Maschinenpistolen im Anschlag, während Leutnant Luo den Verkehr um die Sperre herumleitete. Auch zwei Privatautos wurden angehalten, aber sie durften sofort weiterfahren … es handelte sich um Parteifunktionäre. Sie zu kontrollieren konnte zu ungeahnten Schwierigkeiten führen.

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