Der Schwarze Mandarin
stundenlang vor sich hin geköchelt, ein konzentrierter Sud, der einfach köstlich schmeckte.
Und Liyun erzählte: »Ich habe für Sie extra eine solche Suppe bestellt, denn ein Chinese würde unbedingt eine Fischsuppe vorziehen, in der man Fischköpfe gesotten hat. Überhaupt sind Fischköpfe, gekocht oder gebraten, in einer scharfen Soße, das begehrteste und auch teuerste Gericht. Bei einem Besuch in der Familie oder einer Einladung in ein Restaurant bekommt der Gast als Zeichen der besonderen Verehrung zuerst die Fischköpfe. Es wäre eine Mißachtung seiner Person und seiner Würde, wenn man das vergessen würde. Aber ich dachte, es ist Ihnen so lieber.«
Rathenow war ihr dankbar, daß sie auf diese ›Ehre‹ verzichtet hatte.
Nach einer Stunde brachen sie wieder auf.
Wen Ying saß schon im Auto, als Liyun und Rathenow aus dem Hotel kamen. Er hatte für den noch weiten Weg bis Dali vorgesorgt … in einer hohen Schüssel mit kaltem Wasser, in dem sogar Eisstückchen schwammen, lagen vier Flaschen Reisbier und eine Flasche Mao Tai. Rathenow warf einen kritischen Blick in die Wanne.
»Mao Tai«, sagte er zu Liyun. »Das kenne ich vom letztenmal. Das ist doch ein höllisch scharfer Schnaps.«
»Ja.«
»Und das will er, mit den vier Bier, während der Fahrt saufen? Wenn er die Flasche entkorkt, steige ich aus!«
»Ying ist daran gewöhnt. Er braucht das.«
»Prost Mahlzeit …«
»Ohne Alkohol wird er müde, und das ist gefährlich. Mit Alkohol ist er munter und fährt wie keiner in China.«
»Genau das glaube ich!«
»Im positiven Sinne.« Liyun zog die Autotür zu. »Sie haben wenig Vertrauen zu uns.«
»Ich möchte die Minderheiten sehen und nicht die chinesische Erde, zwei Meter unter der Oberfläche.«
Dann verließen sie Chu Xiong, das ›kleine‹ schöne Städtchen, das mit immerhin 800.000 Einwohnern – größer also als Stuttgart und Düsseldorf – für China wirklich eine kleine Stadt ist.
Die Straße wurde wieder staubig und enger, kaum daß sie die Stadt verlassen hatten. Sie stieg an und schlängelte sich später in waghalsigen Serpentinen einen Gebirgszug hinauf. Zweimal hielt Ying an, wie er es von anderen Fahrten nach Dali gewöhnt war, und Rathenow blickte in ein Tal von zauberhafter Schönheit, auf Reisterrassen und Seen, die von Wäldern umgeben waren, auf Felsenschluchten, die Schwindelgefühle auslösten, und auf kleine Tempel hoch oben auf den Bergkuppen, zu denen keine Straße führte. Dorthin konnte man nur zu Fuß. An der höchsten Stelle der Serpentinen zeigte Liyun auf ein Denkmal gegenüber auf einer Felsnase.
»Das ist das Denkmal für die Erbauer der Straße«, erklärte sie. »Es hat bei dem Bau viele Tote gegeben, aber sie ist ein kleines Wunder geworden. Die meisten Touristen sind ganz begeistert und wollen das Denkmal unbedingt fotografieren. Machen Sie kein Foto?«
»Nur mit Ihnen im Vordergrund.«
»Ja, gern.«
Liyun stellte sich wieder in Positur. Wie gewohnt: gerade Haltung, die Beine zusammengepreßt, den Kopf etwas zur Seite geneigt, ein angedeutetes Lächeln um die Lippen.
»Lachen Sie mal, Liyun!« sagte Rathenow.
»Warum?«
»Weil Sie so schön aussehen, wenn Sie lachen. Ihre Augen leuchten dann.«
Liyun gab keine Antwort, aber sie tat genau das Gegenteil von dem, was er wollte. Sie preßte die Lippen aufeinander und sah an Rathenow vorbei auf die Felsen. Ein ernstes, abweisendes Gesicht.
Das war falsch und dumm von mir, dachte Rathenow. Junge, du weißt doch, daß eine wohlerzogene Chinesin solche Reden mit Abwehr bestraft. Er machte zwei Bilder und hängte dann die Kamera wieder um. Liyun trat von der schönen Aussicht weg. Ohne daß er es bemerkte, warf sie einen langen Blick auf Rathenow, und in ihren Augen stand ein Leuchten, dessen sie sich, wenn sie es im Spiegel hätte sehen können, geschämt hätte. Ein Blick, der den ganzen Mann umfaßte.
Rathenow, der vorausgegangen war, kam vom Auto zu Liyun zurück.
»Er säuft!« sagte er. »Ying trinkt den Mao Tai aus der Flasche!«
»Diese Bergstraße ist mühsam und erfordert große Konzentration.« Jetzt lachte Liyun doch, es war kein Fotoapparat auf sie gerichtet. »Um so besser kommen wir wieder ins Tal.«
Als sie in den Wagen stiegen, saß Wen Ying wieder hinter dem Lenkrad, die Schnapsflasche lag wieder im kühlenden Wasser der Plastikwanne. Ying sah zufrieden aus, von Müdigkeit keine Spur. Sein großer, schwarzer Vogel im Kofferraum gab einige knarrende Laute von sich, als ahne er das
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