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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ein.«
    »Es ist die beste Bluse, die ich habe.«
    »Darum zahle ich dir auch 40 Yuan!«
    »Genossin!« Die Händlerin faltete die Hände vor ihrer Brust. Ihr nettes gegerbtes Gesicht war von vielen Falten durchzogen. »Schwester! Ich muß vier Kinder ernähren.«
    »Du hättest mehr auf die Partei und die Familienplanung hören sollen! Vier Kinder sind ein Luxus, aber ich zahle dir keine Luxuspreise. Wieviel also?«
    »Weil dir die Bluse so gut steht – 100 Yuan.«
    Die Frau sah Rathenow wieder an, als erwarte sie von ihm Hilfe. Aber Rathenow verstand natürlich kein Wort, er konnte kein Chinesisch, und schon gar nicht diesen Dialekt.
    Liyun schüttelte energisch den Kopf. »Weil du vier Kinder hast – 50 Yuan.«
    »Willst du mich vernichten?« Die Frau nahm die Bluse und hängte sie wieder an die Leine. Rathenow sah es mit Erstaunen.
    »Was ist?«
    »Zu teuer!«
    »Man kann doch handeln.«
    »Das habe ich ja getan. Sie will aber nicht. Gehen wir.«
    »Schade. Sie sahen so verführerisch aus.«
    Liyun wandte sich ab und wollte weitergehen. Das war der Augenblick, in dem die Frau die Bluse wieder von der Leine holte.
    »Du bist grausam«, sagte sie mit dumpfer Stimme. Es waren gut einstudierte Worte. »Nimm sie, die Bluse. 50 Yuan! Möge sie dir mehr Glück bringen als mir!« Sie steckte die Bluse in eine dünne Plastiktüte und hielt sie Liyun hin.
    Liyun bezahlte, bevor Rathenow begriff, daß der Handel abgeschlossen war. Er kam zu spät mit seinen Yuan, die er aus einer der Rocktaschen zog. War das auch wieder falsch? dachte er erschrocken. Darf man einer bezaubernden Chinesin nichts schenken? Vielleicht ist es noch zu früh – wir kennen uns ja erst zwei Tage. Ist die Annahme eines Geschenkes eine Art von Vertrautheit? Liyun, ich wollte dich nicht beleidigen, ich bin eben ein Trottel!
    »Wieviel wollte sie haben?« fragte er.
    »150 Yuan.«
    »Und wieviel haben Sie bezahlt?«
    »50 Yuan.«
    »Gratuliere – Sie sind eine zähe Feilscherin.« Er rechnete schnell nach und schüttelte den Kopf. »50 Yuan – das sind nach deutschem Geld 15 DM. Für eine handbestickte Bluse 15 DM! Das ist ja geradezu unglaublich.«
    »Sie hat trotzdem genug verdient. Was kostet bei Ihnen so eine Bluse?«
    »Auf der Maximilianstraße in München bestimmt 600 DM. Und das wäre noch günstig!«
    »Ihr seid eben Kapitalisten. Ihr kauft die Blusen bei uns zu Tausenden – da werden sie noch billiger – und verkauft sie dann für 600 DM! Und das nennt ihr freie Marktwirtschaft!«
    »Jeder will verdienen: die Reederei, die die Container von China herüberbringt, der Importeur, der Großhändler, das Modegeschäft, das Finanzamt …«
    »Ich glaube nicht, daß ich in Europa glücklich sein könnte. Verzeihen Sie, Herr Rathenow, ich wollte Ihr Land nicht beleidigen.«
    Sie drängten sich wieder durch die Menschenmassen, bis Rathenow einen langen Tisch mit einer Fülle von altem Krimskrams entdeckte. Brillengestelle lagen neben angerosteten Eisenbügeleisen, die mit einem glühenden Pflock beheizt wurden, handgefertigte Silberarmbänder und kunstvolle Haarspangen und -nadeln lagen in kleinen Häufchen herum, alte Öllampen und Scheren, handgeschmiedete große Nägel und Zangen, alte Figuren aus Bronze und gebranntem Ton, Ketten aller Größen und Längen, bedruckte Lederbeutel und Gürtelschnallen aus Messing. Und zwischen all diesem Kram lag eine Opiumpfeife aus schwarzem Holz mit einem Mundstück aus geschnitzter grüner Jade.
    Rathenow blieb stehen und griff nach der Pfeife. Er hielt sie dicht an seine Augen und sah, daß in das Jademundstück Zeichen eingeschnitzt worden waren.
    »Ob sie wirklich alt ist?« fragte er. »Oder hat man sie auf alt getrimmt, für die Touristen?«
    »Das wird eine echte, alte Opiumpfeife sein.« Liyun nahm sie ihm aus der Hand und hielt sie ebenfalls dicht vor die Augen.
    »Da ist etwas eingeschnitzt«, sagte Rathenow.
    »Ich entziffere es gerade. Ja, sie ist über 100 Jahre alt. Aus der Ch'ing-Dynastie, die man auch die Mandschu-Dynastie nennt. Und ein Spruch ist eingeritzt: ›Die Zeit von hundert Jahren ist nicht mehr als ein kurzer Schlaf.‹«
    »So ist es. Ich nehme die Pfeife.«
    »Erst handeln …«
    »Darin sind Sie unschlagbar.«
    Er nahm Liyun die Opiumpfeife aus der Hand und legte sie auf den Tisch zurück. Der Händler, ein gelbhäutiger alter Mann mit einem breiten Reisstrohhut auf dem schütteren grauen Haar und in einem verschlissenen Mao-Anzug blickte Rathenow verwundert an. Warum nimmst du

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