Der Schwarze Mandarin
spürte ein Glücksgefühl, das ihm das Atmen schwer machte. Er wandte sich wieder Hua zu, die Gott sei Dank kein Wort verstanden hatte. Nun sprach er wieder Englisch.
»Natürlich machen wir die Bootsfahrt zu der ›Göttin-Insel‹«, sagte er.
»Wollen Sie auch um einen Sohn beten?« fragte Hua ungeniert zurück.
»Dazu bin ich zu alt, Frau Pan.«
»Alt? Sie sind ein Mann, wie man ihn sich wünscht!«
Rathenow verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. Schade, daß Liyun das nicht verstand. Wie hätte sie darauf reagiert?
»Sie haben keine Kinder?« erkundigte sich Hua.
»Leider nicht. Meine Frau ist vor zwölf Jahren gestorben. Wir hatten eigentlich nie Zeit, an Kinder zu denken.«
»Dann müssen Sie doch zur Göttin beten und sie bitten, Ihnen eine neue Frau zu schicken, mit der Sie einen Sohn bekommen können.«
»Ich will's versuchen. Wann nehmen wir das Boot zur Insel?« Rathenow kam in eine ausgelassene Stimmung. Hua, du bist ein kleines Aas!
»Nach den Drei Pagoden.« Hua strahlte ihn an. Liyun sah es genau und ballte unter dem Tisch die Fäuste. Ich möchte ihr das freche Gesicht zerkratzen, dachte sie voll Wut. Diese lockenden Augen – draufschlagen möchte ich! Und dabei nennt sie sich meine Freundin …
Sie erhob sich abrupt und blickte auf Rathenow hinunter. »Gehen wir! Es ist schon wieder viel zu spät.«
Ying, der sie von seinem Tisch aus beobachtete, erhob sich ebenfalls, ging hinaus und machte den Wagen fahrbereit. Er riß die Türen auf. Dann lehnte er sich an die Motorhaube und wartete auf seine Gäste.
Die Fahrt zum Erhai-See war kurz, der Blick vom schilfbestandenen Ufer überwältigend. Eine Menge Fischerboote lagen bereits auf dem stillen, stahlblauen Wasser. Frieden lag über diesem Bild, eine verträumte Schönheit, die selbst Rathenow gefangennahm.
»Wo ist die Insel?« fragte er Hua.
»Dort drüben am Horizont … der grüne Streifen.«
»Und wo liegen die Ausflugsboote?«
»Wir mieten uns ein privates Boot.«
»Dann los!«
»Vorher erst die Drei Pagoden.« Hua lächelte ihn wieder aufreizend an. »Oder haben Sie es so eilig mit einem Sohn?«
»Nicht direkt. Ich bin geübt im Warten. Außerdem gehört zu einem Kind eine Frau.«
»Haben Sie da Schwierigkeiten?«
Das war eine Frechheit, aber eine aufreizende. Rathenow ging darauf ein. Mein lieber Fabrikant in Hannover, dachte er nur, wenn diese heiße Katze Hua dir treu ist, will ich Rumpelstilzchen heißen! Paß auf, Junge, daß dir nicht ein Geweih wie bei einem Fünfzehnender wächst.
»Bisher nicht«, antwortete er. »Aber Frau ist nicht gleich Frau. Zur Mutter gehört mehr als eine Bettgenossin.«
Liyun, die neben ihnen stand und Huas Blicke genau verfolgte, nahm sich in diesen Augenblicken fest vor, Englisch zu lernen. Das Gespräch zwischen den beiden mußte sehr anregend sein, denn Rathenow war in einer ausgelassenen Stimmung. Liyun begann Hua zu hassen und war bereit, sie aus dem Kreis ihrer Freundinnen zu streichen. Man muß sich schämen, sagte sie sich. Jawohl, schämen muß man sich! Wie sich diese Zicke benimmt! Wie sie mit den Augen rollt! Wie sie sich über die schiefen Lippen leckt. Wie sie ihre jämmerlichen Brustwarzen durch die Bluse drückt! Ekelhaft! Hua, du Schlange, ich hasse dich!
»Fahren wir zu den Pagoden!« sagte Liyun fast im Befehlston. Ying, der drei Schritte hinter ihnen stand, lief zum Wagen zurück und öffnete die Türen.
Wer nach Dali kommt und nicht die Drei Pagoden besucht, hat ein Wunder an Schönheit verpaßt. Auf einem Hügel, den man über eine breite Marmortreppe ersteigt, stehen drei unterschiedlich große, in den wolkenlos blauen Himmel ragende runde, reichverzierte Steintempel mit einer sich zuspitzenden Kuppel. Mit jedem Schritt spürt man, wie man der Gottheit näherkommt, wie der Mensch selbst klein und kleiner wird, um dann, die Pagode hinaufblickend, zu erkennen, daß er nur wie ein Staubkorn ist, völlig unwichtig und bedeutungslos, als wollten die Tempel sagen: Falte die Hände, Mensch, und verneige dich vor der Allmacht. Und lerne, daß Demut ein Flügel ist, der dich hinaufträgt in den ewigen Frieden.
Am Vormittag, wenn die Sonne noch etwas schräg steht, spiegeln sich in dem Teich zu Füßen der Heiligtümer die Drei Pagoden im glasklaren Wasser wie die Finger Gottes, die zeigen: Sieh, Mensch, erkenne, Mensch: Nicht dir gehört alles, sondern alles ist Gottes Besitz.
Ergriffen stand Rathenow vor diesem Bild.
»Unvorstellbar!« sagte er nach einer ganzen
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