Der Schwarze Mandarin
denken, Liyun.« Er spürte, wie laut sein Herz plötzlich klopfte. »Ich war jetzt das drittemal in China, aber erst diesmal habe ich es wirklich gesehen und lieben gelernt.«
»Das haben Sie schön gesagt.«
»Mir fällt der Abschied schwer. Am liebsten möchte ich hierbleiben.«
»Das geht doch nicht.«
»So ist es. Es geht wirklich nicht. Aber mein Versprechen halte ich: Ich lade Sie nach Deutschland, nach München, ein und zeige Ihnen mein Land.«
»Ich werde warten.« Liyun blickte auf ihre Schuhe, sie konnte Rathenow jetzt nicht ansehen, ohne sich mit ihren Blicken zu verraten. Ich komme, dachte sie nur. Ich komme … und wenn ich Flügel hätte, würde ich dir übermorgen nachfliegen, ohne zu fragen, wie die Zukunft sein wird. Ich liebe dich … o Gott, wie schrecklich ist das!
Sie gaben sich die Hand und trennten sich, als Ying mit dem Lift wieder in der Halle erschien.
»Bis morgen – nein, heute – um neun Uhr. Wir sehen uns Kunming an und fahren mit dem Schiff über den Kunming-See. Und im See-Park ist ein gutes Restaurant, da essen wir. Kunming ist eine schöne Stadt.«
Rathenow schaute ihr nach, wie sie an Yings Seite das Hotel verließ. Ihr offenes, langes, schwarzes Haar wehte über ihre Schultern. Sie war auch von hinten schön: schlank, langbeinig, ein wenig schlaksig, zerbrechlich und in ihren engen Jeans unglaublich sexy.
Morgen ist der letzte Tag. Nur noch morgen höre ich ihre helle Stimme, blicke ich in ihre großen Mandelaugen. Und dann werde ich im Flugzeug sitzen, die Sessellehne zurückgeklappt, an die Decke starren und zu mir sagen: Rathenow, du hast wahrhaftig eine kleine Elfe gesehen, ein lebendes Porzellanpüppchen. Und du bist korrekt geblieben und hast nicht versucht, sie in deine Arme zu nehmen. Du warst eben ein Idiot! Du hattest Angst, wenn du dich im Spiegel ansahst … die weißen Haare, die leichten Tränensäcke unter den Augen, die Fältchen auf der Stirn und in den Augenwinkeln, das beginnende Doppelkinn – für ein junges Mädchen wie Liyun ein alter Mann. Als du in den Spiegel sahst, wußtest du: Du machst dich lächerlich, indem du einen Gockel spielst. Jeder, der euch zusammen sieht, wird mitleidig lächeln. Da hilft es auch nicht, auf Goethe hinzuweisen, der sich mit 82 Jahren noch in eine Neunzehnjährige verliebte, oder auf Picasso, der noch mit 87 den Bikini-Mädchen am Strand nachstellte. Du bist kein Goethe und kein Picasso … du bist nur Hans Rathenow, ein Münchner Ethnologe und Reiseschriftsteller, der an der Seite eines Mädchens wie Liyun einfach wie ein schlechter Clown wirkt.
So ist es und nicht anders!
Er wandte sich um, ging zum Lift und fuhr hinauf in seine Suite. Dort holte er aus der Hausbar eine kleine Flasche Wodka, mischte ihn mit Orangensaft und trank drei Gläser. Sie wirkten wie ein Gummihammer. Er schwankte zum Bett, warf sich angezogen, wie er war, auf die Decke und schlief sofort ein …
*
Um halb zehn – Rathenow hatte ausgiebig gefrühstückt und zwei Flaschen Mineralwasser getrunken, um seinen Nachdurst zu besänftigen – stieg er mit Liyun in den draußen wartenden Toyota. Die letzte Fahrt mit Wen Ying, dem Wunder-Chauffeur. Er hatte den Verlust seines Vogels überwunden und spuckte wie immer aus dem Fenster, als er seine Fahrgäste aus dem Hotel kommen sah. Die Boys rissen die Glastüren auf.
»Gefällt Ihnen die Suite?« fragte Liyun. Sie sah etwas abgespannt aus, blasser als sonst und mit leichten Ringen unter den Augen. Sie hatte versucht, sie mit Make-up zu überdecken, aber es war ihr nicht ganz gelungen. Er wird es ja doch nicht sehen, tröstete sie sich. Er wird nicht sehen, daß ich die halbe Nacht geweint habe. Wen geht es auch etwas an? Nur mich allein! Jetzt verrinnen die letzten Stunden schneller, als man denken kann, und du wirst die Uhr hassen, die unaufhaltsam ihre Zeiger dreht. Welch ein schöner Tag ist heute, welch eine strahlende Sonne am blauen Himmel, über den ein paar weiß schimmernde Wolken ziehen, ganz langsam, als gäbe es für sie keine Zeit.
»Sie ist wirklich luxuriös. Das Wohnzimmer ist so groß wie ein kleiner Tanzsaal. Man fühlt sich fast einsam, wenn man allein darin wohnt. Trotzdem, ich habe gut geschlafen, ohne Belästigungen. Ich gestehe es jetzt: Ich war todmüde.«
So ist er, dachte sie. Er sagt, was andere verschweigen würden. Zhi würde nie gestehen, schwach zu sein. Er will immer der Starke sein. Auch deswegen liebe ich dich, Rathenow: Du bist ein Mensch, der seine
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