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Der Schwarze Mandarin

Der Schwarze Mandarin

Titel: Der Schwarze Mandarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Schwächen nicht versteckt. Ein Mensch, der manchmal Hilfe braucht. Eine Stütze, einen Halt. Aber keiner erkennt es …
    Es wurde ein herrlicher Tag, dieser Abschied von Kunming. Sie fuhren über den großen See mit seinem glitzernden Wasser, in dessen Spiegel die Wolken mitschwammen, wanderten durch den Park mit seinen gebogenen, geschnitzten Brücken und den Kaffeehäusern, die aussahen wie kleine Tempel, saßen auf Bänken am Ufer und beobachteten die Vögel und zwei schwarze Schwäne, ließen sich bei einem ›staatlich geprüften Diagnostiker‹ nieder, der unter einem Sonnenschirm hinter einem Tisch saß und behauptete, durch eine Sonde, die man in der Hand halten mußte, die Krankheiten zu erkennen, und freuten sich, als er sagte: »Junge Frau – du bist gesund. Nur passe auf deinen Magen auf und auf deinen Hals.«
    »Ich bin gesund«, lachte Liyun. »Nun Sie …«
    Rathenow las den Reklametext auf der Tafel neben dem Tisch. Er war auch auf englisch geschrieben und verkündete, daß Dr. Tao Baibing der Erfinder einer Methode sei, mittels der Körpertemperatur und der Körperschwingungen die versteckten Krankheiten zu erkennen. Rathenow mußte unwillkürlich lächeln.
    »Mein bester Freund ist Arzt«, sagte er zu Liyun. »Wenn ich ihm von diesem Dr. Tao Baibing erzähle, wird er sich an die Stirn tippen. Hokuspokus, wird er sagen. Wissenschaftlich völlig indiskutabel. Und ihr Chinesen glaubt daran?«
    »Versuchen Sie es. Haben Sie Krankheiten?«
    »Genug.«
    Dr. Tao hielt ihm die Sonde hin. Rathenow zögerte, aber dann umfaßte er sie mit seiner rechten Hand.
    »Ihnen zuliebe, Liyun.«
    »Sie müssen den Stab ganz fest drücken.«
    »Fester geht's nicht …«
    Dr. Tao blickte auf eine Art kleinen Monitor, auf dem ein Zeiger hin- und herpendelte und wellenförmige Linien entstanden. Nach einer stummen Minute nickte er. Rathenow ließ die Sonde los. Liyun hörte gespannt zu, was Dr. Tao sagte, und übersetzte es.
    »Der Doktor sagt, Ihr Herz sei nicht gesund.«
    »Stimmt. Ich hatte eine Herzinsuffizienz. Eine Herzschwäche.«
    »Die Nieren sind nicht in Ordnung.«
    »Auch das stimmt.«
    »Ihr Blutfettgehalt ist zu hoch.«
    »Verdammt ja, ich habe einen zu hohen Cholesterinspiegel.«
    »Und Sie sollen aufpassen auf Ihre Adern. Sie könnten sich verengen …«
    »Arteriosklerose … fängt bei mir in den Beinen an!« Rathenow starrte den kleinen Dr. Tao an. »Es stimmt alles. Wie ist das nur möglich?«
    »Durch eine unwissenschaftliche Methode. Dr. Tao sieht Sie heute zum erstenmal. Glauben Sie jetzt an chinesische Diagnose?«
    »Wenn ich das Dr. Freiburg erzähle – der hält mich für verrückt!«
    »Er hat alle Ihre Krankheiten erkannt und Sie sogar gewarnt. Dabei sehen Sie überhaupt nicht krank aus. Wenn einer kommt und hat gelbe Augen, dann kann er sagen: Es ist die Galle oder die Leber. Und wenn er beim Atmen pfeift, ist's die Lunge. Zittert die Hand, hat er ein Nervenleiden. Aber Sie sehen aus, als könnten Sie 100 Jahre alt werden.«
    Liyun bezahlte Dr. Tao einen Yuan – der billigste Arztbesuch, den Rathenow je erlebt hatte. Zwanzig Pfennig für eine umfassende Diagnose! Wenn das die deutschen Krankenkassen hören …
    Vom See-Park fuhren sie zurück in die Stadt und hielten vor der großen Anlage des Jing Dian, des ›Goldenen Tempels‹. Ein weiter Park mit uralten, riesigen Bäumen, durchzogen von Wegen, auf denen jetzt Tausende im Schatten spazierengingen, nahm sie auf. In seiner Mitte erhob sich ein Wunderwerk der Baukunst, eine einmalige Hymne auf die Gottheit.
    »Er ist der größte Bronzetempel der Welt«, sagte Liyun leise neben Rathenow. »Er hat sogar die Kulturrevolution überlebt. Er ist unsterblich wie Gott selbst. Hier kann man Frieden und Weisheit atmen.«
    Der Geruch der süßen Rauchstäbchen, die in bronzenen Haltern steckten, füllte die Räume. Die meisten Chinesen knieten vor den Götterstatuen, deren verschlossene, aber gütige Gesichter auf sie herunterblickten. Eine Touristengruppe aus der Schweiz hatte sich verteilt und fotografierte. Nur das Klicken der Auslöser und das Zucken der Blitzlichter unterbrachen die feierliche Stille.
    »Wirklich ein Wunderwerk«, sagte Rathenow. »Ich bin Ihnen dankbar, daß ich das auch noch sehen konnte.«
    Sie verließen den Goldenen Tempel, wanderten weiter durch den Park und sahen nach zehn Minuten Weg auf einer Anhöhe einen hohen, etagenförmigen Turm, um den sich eine Menschenmenge ballte.
    »Der Glockenturm.« Liyun zeigte die Treppen

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