Der Schwarze Phoenix
Harry, »will ich wissen, warum wir dir vertrauen sollten. Ich will wissen, warum du hier bist und warum du mir gefolgt bist.«
Harry fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
»Okay, das ist nur gerecht. Sieh mal, es interessiert mich nicht, wer Edwin, Nicholas oder sonst jemand von den Typen aus den Kain-Club ermordet hat. Und es interessiert mich genauso wenig, was mit deiner Mutter passiert ist.«
»Also, worum geht es dir?«
»Ich will wissen, wer James Arkel ermordet hat«, erwiderte Harry erregt. »Ich werde herausfinden, wer es war, und ihn dann umbringen.«
Diese harten Worte hallten unheilvoll durch das Haus.
»Ich verstehe das nicht«, wandte Jonathan ein. »Er wurde vor vielen Jahren ermordet. Warum sollte dich das etwas angehen?«
»Weil er mein Vater war. Er war mein Vater, jemand hat ihn umgebracht und ich werde seinen Tod rächen.«
Jonathan stand da und war von dieser unverblümt offenen Aussage überwältigt. Harry war ein Ripper. Er hatte gedacht, der Reporter wäre nur ein aufgeblasener Idiot. Aber jetzt, da er seine arrogante Maske hatte fallen lassen, sah er Harry in einem neuen Licht. Er sah einen zornigen, tief verletzten Jugendlichen, der auf Rache sann. Er war gefährlicher, als sie alle jemals gedacht hatten, aber in diesem Augenblick war er ein Verbündeter.
Schweigen erfüllte den Raum und Harry starrte Jonathan an. Tränen stiegen ihm in die Augen.
»Ist das ein ausreichender Grund für dich?«, fragte er verbittert.
»Ja«, erwiderte Jonathan und dachte an seine Mutter. »Ja, das ist ein sehr guter Grund. Also, willst du wissen, was auf dem Bild zu sehen ist?«
Harry wischte sich die Tränen aus den Augen und nickte.
Sie versammelten sich um den Tisch. Jonathan hob das Tuch an und enthüllte das Bild.
Sie schwiegen, bis Alain das Wort ergriff.
»Ich kenne diesen Mann«, sagte er sichtlich überrascht.
»Ja, ich dachte mir schon, dass er es ist«, fügte Harry hinzu.
Jonathan starrte das Gemälde sprachlos an.
Der Rahmen war schmutzig, und die Ecken der Leinwand waren versengt, aber man konnte immer noch das Porträt eines jungen Mannes erkennen, der auf einem schweren Sessel thronte. Eine Maske ruhteauf seiner Stirn und sein unverhülltes Gesicht wirkte gedankenverloren. Die Messingplakette unten am Rahmen trug den Namen des Kunstwerks: Bruder Flink trifft eine Entscheidung (JdF 106) . Es war das Porträt eines Rippers und eines Mörders.
Und es war ebenso klar und unmissverständlich ein Porträt des Herausgebers des »Darkside Kurier«, Lucien Fox.
22
Die Anwohner von Savage Row waren stolz auf die gepflegte Stille ihrer Straße. Die ruhige Atmosphäre zeigte den Passanten, dass die Anwohner es zu genügend Wohlstand gebracht hatten, um es sich leisten zu können, dem tumultartigen Treiben auf der Hauptstraße zu entgehen, das die anderen Darksider bis an ihr Lebensende erdulden mussten. Selbst der Sturm, der gerade über den Rest der Schattenwelt hinwegfegte, schien einen respektvollen Bogen um die Savage Row zu machen. Allein das Rauschen der Blätter und das schummrige Licht der Straßenlaternen zeugten davon, dass es hier überhaupt Leben gab.
Diese Ruhe währte so lange, bis Eindringlinge aus einem viel ärmeren Teil der Stadt die Kühnheit besaßen, sie zu stören. Die Schritte von zwei Personen hallten unter den Bäumen wider. Die des einen waren lang und gemessen, die des anderen schwer und angestrengt. Sie marschierten die Allee entlang, bis sich Vendetta Heights wie ein finsterer Drachen vor ihnen erhob. Als hätten sie sich stumm abgesprochen, blieben die beiden Männer unter einer Straßenlaterne stehen, und Stille legte sich wieder über die Savage Row.
Arthur Blake leckte sich nervös die Lippen.
»Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?« murmelte er.
Neben ihm knurrte Carnegie.
»Das ist eine beschissene Idee. Aber du hast ja Raquellas Nachricht gelesen, oder? Wenn William sich wirklich hier versteckt hält, dann haben wir keine andere Wahl. Ich verstehe sowieso nicht, warum du so nervös bist. Du hast schließlich nicht dem Jungen und seinem Vater dabei geholfen, Vendetta beinahe umzubringen.«
»Nööö …«, erwiderte Arthur gedehnt. »Aber ich habe einen Artikel darüber geschrieben, dass seine Bediensteten dazu neigen, spurlos zu verschwinden, ich habe angedeutet, dass daran etwas ziemlich faul ist. Nach dem, was man so hört, war er darüber gar nicht erfreut. Seitdem gehört es zu meinen obersten Prioritäten, ihm aus dem Weg
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