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Der schweigende Mund

Der schweigende Mund

Titel: Der schweigende Mund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. A. Fair
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schließen. Lassen Sie uns nicht weiter hier herumstehen. Gehen wir also in mein Büro und sprechen wir über Ihre Kapitalanlagen.«
    Er führte mich den Korridor entlang zu einem geräumigen Büro ganz am anderen Ende des Ganges. Er öffnete die Tür, aber anstatt mich vorgehen zu lassen, sagte er in gereiztem Ton: »Ach, ich habe vergessen, das Radio abzustellen.«
    Er stürzte zu einem länglichen Kasten, drehte an einem Schalter, wodurch ein grünes Licht ausging, dann wies er auf einen Sessel und sagte: »Nehmen Sie dort Platz, Lam. Ich werde mich hierher setzen.«
    Ich versank in tiefen Lederpolstern und ließ meinen Blick durch das seltsam anmutende Büro wandern.
    An den Wänden hingen Bilder von Pferderennen, durchweg Vergrößerungen auf Glanzpapier und geschmackvoll eingerahmt — Bilder, die eine Fülle von Details des Pferderennsports zeigten. Die eine Seitenwand des Zimmers wurde von einer überdimensionalen Tabelle verdeckt.
    Vor dem Fenster befand sich ein großer Zeichentisch, auf dem ein T-förmiges Lineal lag und verschiedenartige Tintenfässer standen. Der Fußboden war mit bunten Zelluloidschnitzeln übersät.
    »Sie scheinen sich für meine Werkstatt zu interessieren?« fragte Keetley, während er das Radio, das er gerade ausgeschaltet hatte, zur Seite stellte.
    »Ich frage mich nur, womit Sie sich hier wohl die Zeit vertreiben.«
    »Ich berechne die Chancen aller Pferdchen in den einzelnen Rennen.«
    Als ich auf den Zeichentisch hinwies, lachte Keetley herzhaft.
    »Obwohl Sie so ein mißtrauischer Heini sind, will ich Sie in ein Geheimnis einweihen.«
    »Und das wäre?«
    »Schlagen Sie mal die Zeitung dort auf und lesen Sie mir vor, welche Gäule heute nachmittag im zweiten Rennen laufen.«
    Ich verlas den Namen der startenden Pferde des zweiten Rennens. Keetley schrieb sich ein paar Zahlen auf, dann zog er eine Schublade unter dem Zeichentisch auf und holte ein paar lange, farbige Zelluloidstreifen hervor.
    Ironisch lächelnd sagte er: »Ich werde Ihnen jetzt mal vorführen, womit sich ein ruheloser Mann mit schier unbegrenzter Mußezeit beschäftigen kann.«
    Er wählte mehrere nummerierte Zelluloidstreifen aus und legte sie aufeinander. Dann ließ er sie nacheinander in Schlitze gleiten, die sich oberhalb eines merkwürdigen, kastenartigen Behälters befanden, der auf dem Tisch vor dem Fenster stand. Darauf drehte er behutsam an kleinen Knöpfen, wodurch sich die Zelluloidstreifen um Bruchteile eines Zentimeters verschoben. Schließlich hatte er die Streifen so ausgerichtet, wie er sie haben wollte.
    »Jetzt passen Sie gut auf, Lam.«
    Nun drehte er an einem Schalter, wodurch ein Rechteck hinter den farbigen Streifen hell aufleuchtete. Offenbar handelte es sich dabei um eine Quarzlampe, deren Licht durch einen Schlitz fiel.
    Als die Lampe aufflammte, sah ich ein halbes Dutzend wellenförmiger Linien.
    Keetley nahm jetzt eine Feineinstellung mit Mikrometerschrauben vor, und ich konnte erkennen, wie sich jeder Zelluloidstreifen kaum wahrnehmbar bewegte.
    An den Rändern der Streifen waren bestimmte, kabbalistische Zeichen angebracht, die sich vermutlich auf das Gewicht der Jockeis, die Distanz des Rennens und den Zustand des Geläufs der Rennbahn bezogen.
    Als Keetley endlich die bunten Zelluloidstreifen nach seiner Meinung >richtig< eingestellt hatte, verfolgte er die Wellenlinien auf dem rechteckigen Schirm.
    »Das wird ein hochinteressantes Kopf-an-Kopf-Rennen geben«, sagte er. »Wie Sie sehen, liegen alle diese Linien dicht gedrängt beieinander. Wenn Sie aber scharf hinsehen, werden Sie erkennen, daß diese Linie hier rechts eine Idee höher kommt als die anderen.«
    Ich bejahte. »Und was bedeutet das?«
    »Das bedeutet, daß dieses Pferd das Rennen gewinnen wird.«
    Er lächelte erhaben über meine Verwirrung, die ich ganz absichtlich zur Schau trug.
    »Für die meisten Turffreunde ist es eine lange und mühevolle Arbeit, die Siegeschancen eines Pferdes in den einzelnen Rennen herauszuklamüsern. Ich habe nun durch jahrelange Kleinarbeit gewisse Grundfaktoren ausgearbeitet, die mich in die Lage versetzen, die jeweilige Tagesform eines Rennpferdes zu ermitteln. Je nach den einzelnen Bedingungen lassen sich die Streifen, die die Form des Pferdes verkörpern, nach oben oder nach unten verschieben. Handelt es sich zum Beispiel um einen Gaul, der sich auf tiefem Boden besser zurechtfindet, so hebe ich seinen Formstreifen, indem ich diesen Knopf hier ein wenig drehe, wie es dem Zustand des

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