Der Schweizversteher
Hausfrauen mithilfe
von Betty Bossi scheitern würden. Erstens Rivella, ein Getränk aus Molke, was
nicht so widerlich schmeckt, wie man es aufgrund seiner Herkunft als Milchserum
vermuten könnte, aber doch eher etwas für den einheimischen Gaumen ist; man
gewöhnt sich in späteren Jahren nur schwer daran. Die Schweizer allerdings
stillen ihren Durst bereits seit 1952 damit, und es erfreut sich weiterhin
groÃer Beliebtheit. Zweitens Aromat, eine Allzweck-Streuwürze von Knorr. Trotz
seiner grellgelben Warnfarbe findet es sich in der Schweiz auf allem und jedem,
ob gekochte Eier, Salat, Gemüse oder Fleisch. Was einen nicht wundern muss,
denn der Salz-Kräuter-Hefe-Geschmack ist recht delikat. Natürlich steht es auch
auf fast jedem Tisch zum Nachwürzen.
Beides kommt aber um Längen nicht an den Cervelat
heran. Was in meinen und Ihren Augen lediglich eine kurz geratene Fleischwurst
ist, wird von den Schweizern als Nationalwurst in gleichem MaÃe verehrt wie
verzehrt.
Die Schweizer Nationalwurst
In der Schweiz gilt: kein Grillen ohne Cervelat. Was
dazu führt, dass alljährlich 160
Millionen davon verspeist werden. Nicht schlecht in einem Land mit nur 7,7
Millionen Einwohnern. Ein Pfadfinder-Sommerlager drauÃen in der Natur, bei dem
am Lagerfeuer auf einen Spieà gesteckte Cervelats gegrillt werden, ist ein
Ãbergangsritus für fast alle Schweizer Kinder. Der hellbraune Cervelat ist
kurz, fett und ziemlich dick, mit einer Wurstmasse aus Rindfleisch, Schweinefleisch und Rückenspeck sowie Pökelsalz und Kräutern,
die in Rinderdarm gefüllt wird. Geräuchert und gebrüht wird sie dann der
gierigen Menge verkauft. Traditionell schneidet man ihre Enden kreuzweise ein,
sodass sie sich beim Grillen ein bisschen aufrollen und die Wurst einem kleinen
Spanferkel ähnelt.
Allerdings befindet sich die Schweiz seit 2008 in
einer Cervelat-Krise, Schlagzeilen beklagen den kurz bevorstehenden Tod dieser
nationalen Institution. Der Grund dafür ist das Verbot der traditionell als
Wursthaut verwendeten Rinderdärme durch die Europäische Union, dem die Schweiz
wegen ihrer bilateralen Vereinbarungen mit der EU Rechnung tragen muss. Die Angst vor BSE hat dazu
geführt, dass die Einfuhr brasilianischer Zebudärme gestoppt wurde, die schon
seit Langem diejenigen Schweizer Herkunft ersetzt hatten, weil sie trotz des
langen Transportweges viel billiger waren. Zebus sind diese Buckelrinder, die
vorwiegend in Indien, aber auch in Südamerika leben. Da der nationalen Wurst
das Aus drohte, wurde eine Schweizer Cervelat-Task Force gebildet, um nach
einer Ersatzwursthaut zu suchen. Aber die Därme anderer Tiere taugen
offensichtlich nicht, sie sind zu weit, zu teuer oder zu dünnhäutig â keiner
will eine geplatzte Wurst. Kunststoffdärme riefen Schreie des Entsetzens
hervor, und Ersatz aus Paraguay ist nur eine kurzfristige Ãbergangslösung. Es
klingt absurd, aber für viele Schweizer ist eine Schweiz ohne Cervelat nicht
vorstellbar und das Ganze daher ein wichtiges Thema. Die Task Force hat eine
gewaltige Aufgabe zu stemmen â es gilt die Volkswurst zu retten.
Das Apfelparadies
Zwar mag der Cervelat bedroht sein, doch das nationale
Obst kennt solche Probleme nicht. In der Schweiz sind Ãpfel höchst beliebt.
Vielleicht geht das auf Wilhelm Tell zurück, vielleicht liegt es an der
Geschmacksvielfalt. Und wenn Sie sich eine noch so originelle Apfelzubereitung
ausdenken, jede Wette, dass es sie in der Schweiz bereits gibt. Sehr geschätzt
wird Apfelmus, entweder als Nachtisch oder als Beilage zu Chäsmaggerone ,
die auf fast jeder Berghütte serviert werden, wo man sie â wohl wegen der Höhenlage
â gern Ãlplermakkaroni nennt. Kaum ist allerdings
September, wird das allgegenwärtige Apfelmus vom frisch gepressten trüben
Apfelsaft ausgestochen, der in Supermarktregalen und an Marktständen
hektoliterweise feilgeboten wird. Und das ganze Jahr über verspeist man zum
zweiten Frühstück oder zum Nachmittagskaffee mit Vorliebe Zwetschgen- oder
Apfelwähe.
Da nimmt es nicht wunder, dass in der Schweiz
ungeheuer viele Ãpfel geerntet werden, 2009 waren es knapp 252Â 000
Tonnen. Und ein Drittel aller Schweizer Apfelbäume steht im nordöstlichen
Kanton Thurgau, was für das dortige Tourismusbüro Grund genug ist, Thurgau als
den Obstgarten der Schweiz anzupreisen. Im Schweizer Volksmund heiÃt der
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