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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Natürlich ist das nicht jedermanns Sache, aber es
wird doch von einem erschreckend großen Prozentsatz der Bevölkerung
praktiziert, darunter vornehme Damen beim Lunch außer Haus und Geschäftsleute
in Anzug und Krawatte. Schön und gut, außer wenn man ihnen gegenübersitzt.
Bestenfalls bleibt einem das eigene Salatblatt im Halse stecken,
schlimmstenfalls sieht das Gegenüber mit dem Riesenblatt vor dem Mund aus wie
der Mensch in Alien , als er gerade den Kampf ums
Luftholen verliert.
    Dann gibt es noch die dritte Variante, die praktikable
und von den meisten Ausländern bevorzugte, wenn sie vor einem Teller sich
aufblähender Blätter sitzen. Für einen strikten Verfechter der Schweizer
Blättikette grenzt diese ungehobelte Vorgehensweise an Blasphemie, aber für uns
Barbaren ist sie nun einmal die einfachste Möglichkeit. Man behilft sich wie
bei Spaghetti, man schneidet die Blätter einfach klein. Dank einer
italienischen Großmutter blieb mir keine andere Wahl als zu lernen, wie man
Spaghetti um eine Gabel wickelt, doch da ich keine Schweizer Anverwandte hatte,
fehlte mir in meiner Kindheit die Anleitung, angemessen ein Salatblatt zu
verspeisen. Als ungehobelter Tabubrecher gehöre ich zum
»Erst-schneiden-dann-essen«-Lager. Weniger Getue, weniger Geklecker und eine
reelle Chance, mit dem Salat fertig zu sein, bevor der Nachtisch kommt.
    Die kulturellen Unterschiede beim Salat gehen aber
noch tiefer. Wie viele andere Ausländer erhielt ich meine erste
Schweizer-Salat-Lektion in folgender Situation: Sie bestellen einen Salat, und
man fragt Sie, wie in vielen Schweizer Restaurants üblich, nach Ihrem
Dressing-Wunsch. Zur Auswahl stehen eine französische Variante (French
Dressing) oder eine italienische. Sie haben Lust auf eine leichte Vinaigrette
und entscheiden sich daher für die französische Variante, worauf die Blätter
mit einem sahnig-weißen Dressing überzogen serviert werden, das wie flüssige
Mayonnaise aussieht. Und das ist es im Grunde auch, leicht verdünnt und gewürzt
durch Essig und Senf. Was andernorts als French Dressing bezeichnet wird, also
Essig, Öl und Kräuter, wird in der Schweiz als italienisches Dressing
bezeichnet. Und mehr Auswahl gibt es nicht. Was aber nicht weiter schlimm ist,
denn das französische Dressing in der Schweiz schmeckt so köstlich, dass meine
Familie es nach jedem Besuch flaschenweise mit nach Hause nimmt.
    Wichtiger zu wissen ist vielleicht noch, dass
gemischter Salat mehr ist als gemischter Blattsalat mit Tomaten und Gurken und
vielleicht noch ein paar Zwiebelringen. Bei einem gemischten Schweizer Salat
verbergen sich, kreisförmig angeordnet, vier oder fünf verschiedene Salate
unter den grünen Blättern: typischerweise Maiskörner in milder Currysauce,
eingelegte Rote Bete (gewürfelt, nicht in Scheiben), Krautsalat, geraspelte
Karotten, Gurken in Joghurtsauce oder ein paar Kidneybohnen. Ein kleines
Salatbüfett auf einem einzigen Teller.
    Als wäre das noch nicht genug, gewährt auch der typisch
schweizerische Verzehr eines gemischten Salats Einblick in kulturelle Normen.
Denn die Schweizer mischen und mantschen die verschiedenen Minisalate nicht zu
einem Happen zusammen, sondern nehmen mit jeder Gabel nur einen Bissen von je
einer Sorte. Was bei anderen Gerichten seine Entsprechung findet. Die meisten
Schweizer essen, was sie auf einem Teller serviert bekommen, auf sehr ähnliche
Weise, nämlich indem sie jede Speise einzeln in den Mund schieben – also zuerst
ein Stückchen Kartoffel, dann ein bisschen Fleisch und als Nächstes etwas
Brokkoli. So können sie alles abwechselnd genießen, und keine Nuance geht in
einer Mischung verloren. Wobei ihnen entgeht, was beim Kombinieren als neuer
Gaumenkitzel entstehen könnte. Doch ein Schweizer bleibt lieber dem treu, was
er kennt.
    Fondue und Müesli sind die beiden Nahrungsmittel, die
von den meisten Menschen sofort mit der Schweiz in Verbindung gebracht werden,
aber die Schokolade ist zur essbaren Exportikone geworden. Da die Schweiz ein
kleines Land ist und kaum Bodenschätze besitzt (wohl aber Wasser und Kühe), ist
ihre Stellung als herausragender Schokoladenexporteur umso erstaunlicher. Doch
dank ihrer Lage als Schnittstelle Europas konnte sie sich die erforderlichen
Rohstoffe sichern, und Schweizer Erfindungsgeist lieferte das nötige Werkzeug
zum Anrühren des braunen Zaubertranks. Das

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