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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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Straßenbahnen und keine Banken. Früher
war es der Rotlichtbezirk, aber inzwischen haben Tauben und Spatzen die
Bordsteinschwalben abgelöst. An die schlechte alte Zeit erinnern nur noch
Relikte wie ein einsames Pornokino und ein paar exotische Bars, kleine Inseln
des Lasters in einem Meer der Gentrifizierung. Links und rechts zweigen Treppenwege
ab und führen in ein Labyrinth enger buckeliger Gassen mit Straßenlokalen. Die
Stadt ist hier eine andere, Welten entfernt von den Anzugträgern und dem Trubel
des 21.  Jahrhunderts
im Bankenviertel auf der anderen Flussseite. Kleine Plätze mit Brunnen,
niedrige wehrhafte Häuser, Schneiderwerkstätten, farbenfrohe Blumenkästen,
Kneipen. Man fühlt sich in die Zeit von Zwingli versetzt, auch wenn seither 500
Jahre verstrichen sind. So wenig hat sich verändert, und doch so viel.

Religionskriege
    In den drei Jahrhunderten nach Zwinglis Tod war die
Schweiz so zersplittert wie alle Länder Europas. Zwar gelang es den Schweizern,
sich aus großen Konflikten wie dem Dreißigjährigen Krieg herauszuhalten, doch
dafür kämpften sie mehrmals gegeneinander. Man kann sich zwar nur schwer
vorstellen, dass Schweizer auf irgendjemanden, geschweige denn aufeinander
losgehen, doch bis vor 160
Jahren kam das durchaus vor. Im November 1847 endete das letzte
Gefecht der Katholiken mit einer Niederlage im Sonderbundskrieg, einer ziemlich
zivilisierten Auseinandersetzung, die keine vier Wochen dauerte und weniger als
hundert Menschenleben kostete. Sieben katholische Kantone hatten sich zu einem
»Sonderbund« zusammengeschlossen, um sich der angeordneten Ausweisung der
Jesuiten und der Liberalisierung des Landes zu widersetzen. Das war natürlich
ein streng geheimes und höchst illegales Unterfangen (gar nicht typisch
Schweiz!), und als die Protestanten ihnen auf die Schliche kamen, reagierten
sie nicht gerade erfreut. Ja, sie waren so indigniert, dass sie, angeführt von
General Dufour und seiner neuen rot-weißen Fahne, bei ihnen einmarschierten,
und noch vor Weihnachten war der ganze Spuk vorbei.
    Natürlich ging es bei dem Krieg nicht in erster Linie
um Religion. Was als Gezänk um die immerwährende Jungfräulichkeit Marias und
den priesterlichen Zölibat begonnen hatte, wuchs sich zu einem Machtkampf aus.
Die vorwiegend ländlichen katholischen Kantone waren hinter die eher
städtischen protestantischen zurückgefallen, in denen man Reichtum für
gottgefällig hielt. Zu ihrem Aufschwung hatte zudem beigetragen, dass im Lauf
der Jahrhunderte mit den protestantischen Flüchtlingswellen aus Frankreich,
Italien und England auch Fachkenntnisse in der Textil- und Uhrmacherbranche und
im Bankwesen hereingeschwappt waren. Dazu eine Menge hart arbeitender Menschen,
denen ihre Tätigkeit nicht nur weltlichen Gewinn brachte, sondern auch im
Jenseits angerechnet wurde – die protestantische Arbeitsmoral.
    Man muss den Protestanten zugutehalten, dass es ihnen
dann nicht um Rache, sondern um einen dauerhaften Frieden ging, auf dem sich
unabhängig vom jeweiligen Glauben ein Land für alle aufbauen ließ (mit Ausnahme
der Jesuiten, die bis 1973
verbannt blieben). Eine neue Verfassung, eine neue Föderation und eine neumodische
Idee namens Referendum schufen ein einzigartiges politisches System, das bei
der Entstehung der modernen Schweiz eine grundlegende Rolle spielte.
Möglicherweise das Beste, was je bei einem religiösen Konflikt herausgekommen
ist.

Ein sauberes und angenehmes Land?
    In einer Frage sind sich die Schweizer Katholiken mit
den Protestanten einig, nämlich dass gleich nach der Frömmigkeit die
Reinlichkeit kommt. Es gibt wenige andere Länder, die so sauber sind wie die
Schweiz. Manchmal hat man das Gefühl, als würde allnächtlich eine ganze Armee
von Heinzelmännchen dafür sorgen, dass alles von der Bordsteinkante bis zu den
Parkbänken makellos rein ist. Wie es mein Vater einmal ausdrückte: Man könnte
vom Boden eines Parkhochhauses essen, der so sauber ist, dass die Reifen
quietschen. Müll ist fast nirgends ein Problem. Selbst nach tagelangen
Festivitäten wie Karneval oder Fastnacht werden der knöchelhohe Unrat
unverzüglich beseitigt und die überquellenden Abfalleimer entleert.
    Wenn man sich allerdings einen Augenblick Zeit nimmt,
um hinter die makellose Oberfläche zu schauen, stellt man fest, dass es auch in
der Schweiz Verunreinigungen

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