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Der Schweizversteher

Der Schweizversteher

Titel: Der Schweizversteher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diccon Bewes
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wie nach Sibirien
versetzt. Aber obwohl diese Stadt nie einen Schönheitswettbewerb gewinnen wird,
wurde sie 2009
zusammen mit Le Locle zum Weltkulturerbe geadelt, allerdings wegen ihrer
industriellen Vergangenheit und der Stadtplanung, nicht aufgrund ästhetischer
Kriterien. Offenbar sind die beiden Städte »einzigartige Beispiele für die gut
erhaltene und noch immer funktionierende Symbiose einer auf nur ein Produkt
ausgerichteten Industrie mit dem Städtebau«. Kein Wunder, dass Karl Marx La
Chaux-de-Fonds in Das Kapital als »eine einzige
Uhrenmanufaktur« beschreibt, was wahrscheinlich wohlwollend gemeint war. Ich
vermute jedoch, dass er nie selbst in dieser vermutlich tristesten Stadt der
ganzen Schweiz gewesen ist.
    Dank ihrem berühmtesten Sohn, dem Architekten Le Corbusier
(Geburtsname Charles-Édouard Jeanneret-Gris) kann aber auch sie mit ein paar
Perlen aufwarten. Ein vielleicht ebenso prominenter Sohn der Stadt ist Louis
Chevrolet, der Auto-Mann, doch ich halte es mehr mit Le C ,
der in La Chaux-de-Fonds wenigstens sichtbare Spuren hinterlassen hat. Außerdem
sind Gebäude so viel interessanter als Autos. Und wärmer, wenn es draußen kalt
ist und schneit. Auch erkennt man bei einem Rundgang in einem so schlichten,
aber grandiosen Bau wie La Maison Blanche, dass die Schweiz architektonisch
mehr zu bieten hat als holzverschalte Almhütten. Die offene Raumgestaltung und
klare Linienführung war ihrer Zeit weit voraus und erinnert mehr an die 1930er-Jahre
als an das tatsächliche Baujahr 1912. Am anderen Ende der Stadt befindet sich
Le Corbusiers zweite frühe Glanzleistung, das Traumhaus Villa Turque. Für
unsereins ist es das, was überdauern wird. Entworfen für einen Magnaten der
hiesigen Uhrenindustrie gehört es inzwischen Ebel, einem der Uhrenhersteller,
von denen ich noch nie gehört hatte und die sich wohl als Einzige ein solches
Gebäude leisten können – mit doppelt hohem Empfangssaal, riesigen gewölbten
Erkerfenstern und sinnlich geschwungener Linienführung.
    Abgesehen von den Häusern, glänzt Le Corbusier (und
sogar Chevrolet) durch Abwesenheit. In echt Schweizer Manier wird der berühmten
Söhne der Stadt hier kaum gedacht, als befürchte man, damit der Eitelkeit
Vorschub zu leisten. Vielleicht sind aber auch nur die Trauben zu sauer, denn
schließlich brachten es beide Männer erst zu wahrem Ruhm, nachdem sie ihre
Heimatstadt verlassen hatten. Stattdessen konzentriert man sich hier auf die
Uhren, deren Ego niemals das ihrer Macher überstrahlt.
    Man ehrt die Uhren hier mit einem eigenen Museum in
dem wahrscheinlich hässlichsten Gebäude der Stadt, wobei es dafür reichlich
Anwärter gibt. Glücklicherweise befindet sich der größte Teil des Betonmonsters
unter Tage. Als man es noch nicht besser wusste (nämlich 1977), wurde das Musée
International d’Horlogerie mit dem Architekturpreis Beton für beispielhaften
Museumsbau ausgezeichnet. Offensichtlich kommt es bei dieser Auszeichnung
darauf an, dass ein Bauwerk möglichst grau und abweisend aussieht. Der einzige
Vorzug ist, dass die düsteren Wände die Ausstellungsstücke noch leuchtender
hervortreten lassen: reich verzierte Taschenuhren, eine elegante
Sonnen-Pendeluhr, erste Armbanduhren für die Soldaten des Ersten Weltkriegs und
rätselhafte Uhren, bei denen scheinbar der Mechanismus fehlt. Das
Bemerkenswerteste aber ist die Stille, die nur leises Tick-tack und
gelegentlich ein Piepen oder Läuten durchbricht. Sie verleiht dem Museum ein
pietätvolles Flair – halb Tempel, halb Bibliothek.
    Obwohl ich kein Uhrenfanatiker bin, faszinieren mich
die hier ausgestellte Detailbesessenheit und Handwerkskunst. Und mich ziehen
die Erfindungen in den Bann, denen wir die heute als selbstverständlich
erachteten zierlichen und flachen Uhren verdanken: die erste Feder, die erste
Automatik, die erste Batterie, das erste Uhrenquarz und so weiter. Mein
persönlicher Favorit unter all den Vitrinen der Schweizer Uhrenhersteller ist
die von Girard-Perregaux, einer hiesigen Manufaktur. Nicht wegen der Uhren, die
sich von den anderen nur unwesentlich unterscheiden, sondern wegen des
Firmenmottos: »Watches for the few since 1791«. Kein langes
Herumgerede, dass diese lächerlich kostspieligen und elitären Uhren von jeher
nur für wenige Auserwählte infrage kamen. Da bleibe ich doch bei meiner
zuverlässigen

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