Der Schwur der Ritter
William, denn ich habe den Brief persönlich versiegelt und am selben Tag mit einer unserer Galeeren nach London geschickt. Dort hat er meinen Bruder aber nie erreicht, weil dieser bereits nach Frankreich abgereist war, angeblich im dringenden Auftrag des Königs. Aufgrund der Eile ließ er Lady Jessica, die ohnehin eine Reise nach Frankreich geplant hatte, in der Obhut des Tempels von Le Havre zurück und reiste allein nach Paris weiter. Dort wurde er festgenommen und in den Kerker geworfen, wo man ihn zu Tode gefoltert hat.«
Sir William überlegte. »Warum hämmert de Nogaret dann nicht längst an unsere Tür? Wenn sie Euren Bruder gefoltert haben, muss er ihnen doch alles verraten haben, was er wusste.«
»Aye, das stimmt, aber er wusste ja nichts. Etienne hatte meinen Brief ja nie bekommen und wusste weder von Bar Simeons Tod noch vom Verkauf seiner Besitztümer und davon, dass der Erlös bei uns deponiert worden war. De Nogaret hatte alles verdorben: Er hatte zu schnell gehandelt.«
Plötzlich kam Sinclair ein Gedanke. »Wann hat sich all dies zugetragen?«
»Vor etwa anderthalb, knapp zwei Jahren.«
»Vor der Säuberung.«
»Unmittelbar davor.«
»Und jetzt gibt es keinen einzigen Juden mehr in Frankreich, der Klage dagegen erheben könnte. Es gab keinen Widerspruch dagegen, dass sich der französische Staatsschatz am konfiszierten Geld der Juden – dem Vermögen der Christusmörder – bereicherte.«
»Das hört sich ja so an, als hättet Ihr etwas dagegen.«
»Natürlich. Überrascht Euch das, der Ihr doch die Wurzeln unserer alten Bruderschaft von Sion kennt? Judenhass verdient nichts als Verachtung, verleugnet er doch bewusst die Tatsache, dass auch Jesus Jude war.«
»Das ist wahr. Doch all dies hatte nichts mit Etiennes Geld zu tun, auch wenn Bar Simeon Jude war. Ist Euch eigentlich schon einmal der Gedanke gekommen, dass man uns ebenfalls als Wucherer bezeichnen könnte?«
Sinclair warf dem Admiral einen skeptischen Blick zu. »Nein, denn das sind wir nicht. Wir schöpfen eine kleine Summe ab, um die Kosten unserer Arbeit zu decken, aber das ist bei weitem kein Wucher.«
»Aye, so behaupten wir es, aber ist es auch wahr? Sind nicht viele der ursprünglichen Lehren des Ordens in der Zeit seit der Ordensgründung verloren gegangen? Könnt Ihr mir zum Beispiel noch sagen, was die erste Ordensmedaille bedeutet hat, die beiden Ritter auf einem Pferd?«
»Sigillum Militum Christi? Es zeugt von der Tatsache, dass die Templer in den Anfangstagen so arm waren, dass sich oft zwei Ritter ein Pferd teilen mussten.«
St. Valéry verzog den Mund. »Aye, so sagt man heute. Ich erlaube mir, dies zu bezweifeln. Denkt doch einmal nach, Sir William. Die ursprünglichen neun Mitglieder von Hugh de Payens’ Kader gehörten alle dem Orden von Sion an. Nachdem sie die Tempelruinen in Jerusalem entdeckt hatten, ist ihre Zahl gewachsen, und der Tempel wurde ins Leben gerufen – erfüllt von christlichem Fanatismus und blutrünstiger Leidenschaft. Ich stelle mir lieber vor, dass ihr erstes Symbol – das Medaillon mit den zwei Reitern – pure Ironie war. Für mich ist es ein Abbild der gewandelten Bruderschaft, das nicht zwei Soldaten auf einem Pferd zeigt, sondern den Zwiespalt der Gründerbrüder, die Tempelritter und Sionsbrüder zugleich sein mussten. Vielleicht denke ich ja einfach zu viel nach, aber mir gefällt diese Vorstellung.«
Sein Zuhörer nickte. »Darauf wäre ich nie gekommen«, sagte er schließlich mit Bewunderung in der Stimme. »Doch wenn Ihr es so erzählt, klingt es überzeugend.« Er lächelte, dann bückte er sich nach seinem Glas und leerte es genüsslich. »Diese Benediktiner haben einen Zaubertrank gebraut. So etwas habe ich noch nie getrunken. Doch erzählt mir, was ist aus der Baronin geworden?«
»Ihre Männer haben sie gerettet.«
»Ihre Männer?«
»Sie und Etienne wurden stets von einer schottischen Leibgarde begleitet, die Edwards Bruder, Sir Thomas Randolph, ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sie waren so treu – und so brutal – wie Wolfshunde. Etienne hat die Hälfte von ihnen nach Paris mitgenommen, wo sie bei seiner Festnahme Opfer der königlichen Garde wurden. Doch sie hatten Wachtposten aufgestellt, die alles mit angesehen haben. Diese sind nach Le Havre zurückgeeilt, haben ihre Herrin an Bord eines Schiffes gebracht und sie heim nach Schottland begleitet. Unterdessen hatte der Tempel in London meinen Brief an Etienne nach Edinburgh geschickt – und vor etwas
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