Der Schwur der Ritter
einziges Mal begegnet, und er ist wirklich ein schöner Mann. So schön … wie ein Standbild aus feinstem Marmor.«
Es hielt sie nicht mehr auf ihrem Sitz, und sie erhob sich und trat zum Feuer. St. Valéry machte ihr Platz und setzte sich. Sie bedankte sich mit einem Kopfnicken dafür.
»Ein Standbild, meine Herren. Dieser König sieht aus wie ein menschliches Abbild, bildschön, das mag sein, doch er ist so kalt wie Stein und hat keine lebendige Seele. Er umgibt sich mit Kälte und lässt keine menschliche Nähe zu. Niemand weiß, was er denkt, außer, dass er sich selbst für Gottes irdischen Stellvertreter hält, dem sich selbst der Papst und die Kirche unterzuordnen haben. Und jene menschlichen Eigenschaften, die er tatsächlich besitzt, sind wenig bewundernswert: Er ist wankelmütig, gierig, durchtrieben und ehrgeizig. Das Leben anderer Menschen bedeutet ihm nichts. Und er umgibt sich mit Menschen, die ihm bedingungslos zu Willen sind.«
Sie schloss kurz die Augen und atmete durch, dann fuhr sie fort.
»William de Nogaret hat die Befehlsgewalt über all diese Menschen; er ist des Königs liebster Helfershelfer. Vor vier Jahren ist er an der Spitze einer kleinen Truppe von Paris nach Rom geritten, um den amtierenden Papst zu entführen. Es war das unverschämteste Verbrechen, das der Heilige Stuhl je erlebt hat, und er hat es grinsend ausgeführt. Doch auch Bonifazius’ Nachfolger Benedikt hat es gewagt, de Nogaret öffentlich zu verurteilen – und wurde kurz darauf vergiftet. Danach hat Philipp dafür gesorgt, dass ein Mann seiner Wahl Papst wurde – Clemens –, und die Schlange de Nogaret wurde endgültig zu seiner unentbehrlichen rechten Hand …«
»Die Juden!«, erscholl es plötzlich etwas belegt aus der Runde, und Jessica brach ab. Es war de Berenger, und alle Augen richteten sich auf ihn.
»Die Juden«, wiederholte er, diesmal kräftiger. »Letztes Jahr, letzten Juli. Es ist wahr, was der Großmeister über morgen sagt.«
St. Valérys Reaktion klang ungeduldig. »Was haben denn die Juden damit zu tun, Mann? Wovon redet Ihr?«
»Von der Parallelität der Ereignisse, Sir. Letztes Jahr wurden am einundzwanzigsten Juli ohne jede Vorwarnung sämtliche Juden in Frankreich festgenommen und innerhalb eines Monats des Landes verwiesen, während die Krone ihren Besitz konfiszierte. Glaubt Ihr nicht, Admiral, dass ihre Zahl in etwa dieselbe war wie die der Templer heute? Die Planung und Ausführung dieses Schlags lag allein in den Händen von William de Nogaret – desselben de Nogaret, möchte ich hinzufügen, dessen Eltern in Toulouse auf dem Scheiterhaufen gestorben sind, und zwar unter den Augen der Templer, die der Inquisition als Werkzeug dienten.«
»Heilige Mutter Gottes!« St. Valérys Worte waren nur ein Hauch.
De Berenger fuhr fort. »Ich könnte mir vorstellen, dass die Judenverfolgung im letzten Jahr die Generalprobe für das gewesen ist, was morgen geschieht. Die Warnung des Großmeisters ist begründet, und er übertreibt die Gefahr nicht, in der wir uns befinden. Nur glaube ich nicht, dass Blut in den Straßen fließen wird oder dass gar unser Ende bevorsteht. Wir sind schließlich ein Militärorden, keine wehrlosen Zivilisten. Möglich, dass es Monate oder sogar Jahre dauern wird, bis die Verhandlungen zwischen dem König und dem Orden abgeschlossen sind. Unser Vermögen würde unterdessen natürlich leiden, doch unser heiliger Orden wird überleben, und irgendwann wird es auch eine Wiedergutmachung geben.«
»Wiedergutmachung?«, entfuhr es Jessie. »Habt Ihr denn kein Wort von dem gehört, was ich gesagt habe? Wann in Gottes Namen werdet Ihr begreifen, dass Ihr es mit Menschen zu tun habt, denen Euer Ideal der Ehre vollkommen fremd ist? Ihr nennt Euch Männer guten Willens und glaubt, dass der Rest der Welt ebenso ist wie Ihr. Ehrenmänner. Pah! Dieser König hält sich für unfehlbar. Er kennt weder Ehre noch guten Willen, und er braucht beides auch gar nicht. Der Mann verzehrt sich vor Gier. Er ist ebenso unersättlich wie er hoch verschuldet ist, und er wird sich bedienen, wo er kann.«
»Ihr scheint den König ja sehr gut zu kennen, Baronesse« , meldete sich Montrichard in verächtlichem Ton zu Wort.
Jessie fuhr aufgebracht zu ihm herum. »Ich sagte doch, gesehen habe ich ihn nur einmal, Sir. Aus der Nähe begegnet bin ich ihm nie, also spart Euch Eure Verachtung. Mein Mann ist jahrelang als Agent des Königs am englischen Hof gewesen und hatte die ebenso undankbare wie
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