Der Schwur des Maori-Mädchens
geritten«, bemerkte Ben verächtlich, bevor sie sich auf den Weg durch dichten Busch den Hügel hinaufmachten.
Genau wie der Fischer ihnen beschrieben hatte, trafen sie auf einen Strand. Vivian überlegte, wo in Matuis Geschichte von Oneroa die Rede gewesen war, und als sie die Reihe von Strandhäusern erblickte, fiel es ihr wieder ein. Hier, weit genug vom Ort entfernt, hatte Mister Hobsen sein verrufenes Zweithaus besessen, in dessen anliegenden Hühnerstall er einst Matui eingesperrt hatte.
Es war unschwer zu erkennen, in welchem Haus man den mumifizierten Toten gefunden hatte. Davor standen Mengen von Gaffern. Kein Wunder, dass es auf der anderen Seite völlig menschenleer ist, dachte Vivian.
Ben fasste sie bei der Hand und drängelte sich durch die Menge nach ganz vorn. Dort gab es eine Absperrung, hinter der Polizisten geschäftig hin und her liefen.
Vivian blickte sich um. Neben Schaulustigen aus Russell schienen sich hier sämtliche Reporter des Landes versammelt zu haben. Sie trugen alle ähnliche Anzüge und Hüte, hatten Schreibblöcke in der Hand und tauschten sich eifrig aus. In dem Gemurmel konnte man kaum ein Wort verstehen, doch dann hörte Vivian den Namen Hobsen heraus und lauschte angestrengt dem Gespräch zwischen zwei Zeitungsmännern.
»Ja, das Haus gehörte einem Mister Hobsen, der vor dem Fahnenmastkrieg in Russell gelebt hat und sich dieses Strandhaus gebaut hat.«
»Und warum ist es so verfallen?«
»Der Mann ist bei einer Explosion umgekommen, aber ein alter Mann aus Russell behauptet, der Schwiegersohn von Mister Hobsen sei Jahre später extra aus Wanganui gekommen, um das Haus zu verkaufen, doch als der Kaufinteressent aus Whangarei sich mit ihm zum vereinbarten Zeitpunkt treffen wollte, sei er nicht erschienen und blieb seitdem spurlos verschwunden.«
»Ach, das ist ja interessant. Und könnte der Tote nicht jener Mann sein, der damals verschwunden ist?«
»Mal sehen. Die Polizei wird gleich eine Erklärung zum Fund des Mumifizierten abgeben.«
Vivian klopfte das Herz bis zum Hals. Der ungeheuerliche Verdacht, der sie nun mit Macht überfiel, wollte ihr schier die Kehle zuschnüren. Wenn sie die beiden Männer richtig verstanden hatte, war Henry nach Russell gekommen, um das Haus zu verkaufen und dann verschwunden. Was, wenn er der Tote war, und was, wenn Matui ihn hier aufgespürt und umgebracht hatte?
»Was machen Sie denn hier?«, riss eine empörte Frauenstimme sie aus ihren Gedanken.
»Sie assistiert mir«, erwiderte Ben knapp. Vivian blieb stumm vor Schreck.
Isabel musterte sie durchdringend. »Sie wissen schon, dass Bischof Newman nicht erfreut darüber ist? Frederik hätte Sie nie allein in den Northlands zurücklassen dürfen. Er spielt mit dem Gedanken, Sie höchstpersönlich in sein Haus zurückzuholen. Sie sind gerade mal achtzehn Jahre alt und können doch nicht einfach tun und lassen, was Sie wollen. Er ist Ihr Vormund. Schon vergessen?«
»Die junge Dame steht unter meinem Schutz«, mischte sich Ben ein. Er hatte bei Isabels Worten, die verrieten, was er um keinen Preis hatte erfahren sollen, nicht die Miene verzogen.
»Ich glaube nicht, dass das den Vormund der jungen Dame sonderlich beruhigen wird«, entgegnete Isabel spitz. »Aber da kommt ja auch Frederik. Der wird sicher ein Machtwort mit ihr sprechen.« Sie winkte eifrig und rief durch die Menge: »Liebling, hier sind wir!«
Als Frederik auf sie zutrat und Ben erblickte, verdüsterte sich sein Gesicht.
»Was machen Sie denn hier?«
»Offenbar dasselbe wie Sie«, entgegnete Ben knapp.
Dann erst wandte sich Frederik Vivian zu. »Ich muss dich dringend sprechen, und zwar unter vier Augen.«
»Schlechter Zeitpunkt«, bemerkte Ben bissig und deutete auf den Polizisten, der sich jetzt an die Reporter wandte.
»Wir haben in einem verfallenen Nebengebäude dieses Hauses die teilweise mumifizierte Leiche eines Mannes gefunden. Aufgrund des Zustandes seines Armknochens müssen wir davon ausgehen, dass es sich um Fremdeinwirkung gehandelt hat. Ob das zum Tod geführt hat, können wir nicht mit Sicherheit sagen. Der Zustand des Leichnams ist ein Wunder. Wir können uns das nur damit erklären, dass der einstige Stall aus Stein erbaut ist und der Körper auf dem kalten Boden in einem austrocknenden Luftzug gelegen hat. Deshalb haben wir ihn auch noch nicht geborgen, weil sich die Wissenschaftler noch darüber streiten, wie man ihn unversehrt nach
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