Der Schwur
Feld auf. Ganz in deiner Nähe übrigens. Wenn du gestern irgendwas gesehen hast, sag es uns lieber. Meine Eltern wissen noch nichts davon und ich möchte ihnen die Polizei lieber ersparen.«
Der Junge schwieg. Eine Weile starrte er brütend vor sichauf die Decke. Dann sagte er abrupt: »Helft mir, hier rauszukommen, dann sage ich euch, was ich weiß.«
Philipp zog die Brauen hoch. »Wie bitte? Wieso willst du hier raus? Mit deinem gebrochenen Fuß solltest du lieber eine Weile liegen bleiben.«
»Ach was!«, sagte der Junge wütend. »Der Fuß ist heil!«
»Du konntest doch gestern nicht einmal aufstehen!«, rief Melanie entgeistert.
»Aber jetzt kann ich es. Ich hab mich selbst geheilt, na und? Eure Heiler tun so, als hätten sie so etwas noch nie gesehen, und wollen mich nicht gehen lassen. Aber ich lasse diese Bande nicht noch mehr Nadeln in mich hineinstechen! Also, helft ihr mir?«
»Du spinnst!«, rief Melanie. »Du kannst dich doch nicht selbst heilen!«
»Warte mal«, sagte Philipp. »Du da – wie heißt du eigentlich? Beweise uns, dass du laufen kannst. Steh mal auf.«
»Ich heiße Darian«, sagte der Junge. Dann machte er eine Pause, als ob er auf etwas wartete.
»Schön, Darian«, sagte Philipp, »dann zieh dich an und komm, bevor –«
»Ich bin Darian von Chiarron«, unterbrach ihn der Junge mit eisiger Stimme. »Und du erteilst mir besser keine Befehle, oder es wird dir leidtun!«
Melanie starrte ihn an, aber Philipp zuckte nur die Achseln. »Klar, ich zittere ja auch schon. Willst du nun hier raus oder nicht?«
Der Junge warf ihm einen wütenden Blick zu, schleuderte die Bettdecke zurück und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Kein Zweifel: Er konnte völlig ohne Schwierigkeiten stehen und gehen. »Ich wäre längst geflohen, wenn ich wüsste, wie ich aus dieser Burg herauskomme! Aber hiersieht ja alles gleich aus! Seid ihr Bedienstete? Wer herrscht hier?«
»Der Fuß ist in Ordnung, aber der Kopf hat was abbekommen«, stellte Philipp fest. »Ich glaube, wenn du so weiterfaselst, lassen wir dich besser hier.«
»Also keine Bediensteten«, murmelte Darian. Er wirkte jetzt nur noch verwirrt. »Ich weiß nicht, wo meine Kleider sind. Mein Messer haben sie mir weggenommen.«
»Ich seh mal nach.« Melanie ging rasch zum Schrank, öffnete ihn und fand darin, ordentlich zusammengelegt und frisch gewaschen, das braune Hemd und die Hose, die Darian bei ihrer ersten Begegnung getragen hatte. Sie warf ihm die Sachen zu. »Ich warte draußen, Philipp, ja?«
Philipp nickte. »Pass auf, ob jemand kommt.«
Sie verließ das Zimmer und blieb draußen stehen. Darian von Chiarron. Das war ein komischer Name. Wofür hielt der Kerl sich eigentlich? Steckte er in einem Live-Rollenspiel oder hatte er zu viel Fantasy gelesen? Auf jeden Fall fand sie ihn widerwärtig, frech, arrogant und unerträglich albern. »Buntes Kästchen« – als hätte er im Leben noch kein Handy gesehen! Nannte das Krankenhaus eine Burg und fragte, ob sie und Philipp Diener wären! Der hatte sie ja nicht mehr alle!
Zum Glück war der Flur gerade leer, sonst hätte sicher eine Krankenschwester sie gefragt, warum sie hier draußen herumlungerte. Nach kaum einer Minute steckte Philipp den Kopf zur Tür hinaus. »Ist die Luft rein?«
Melanie nickte hastig.
»Okay«, sagte Philipp. »Los, zum Aufzug – aber langsam. Wir wollen ja nicht auffallen.« Er öffnete die Tür und Darian schlüpfte hinaus. Nicht auffallen? Er sah aus wie aus einem Fantasyfilm – barfuß, wilder Blick, die Haareviel zu lang, Hemd und Hose aus einem ganz merkwürdigen Stoff ... ebenso hätte Philipp einem Pfau im Hühnerhof befehlen können, nicht aufzufallen. Melanie unterdrückte ein etwas hysterisches Kichern und zwang sich, langsam neben den beiden herzugehen. Wirklich großartig – Melanie Vittori, einzige Tochter einer bekannten Rechtsanwältin und eines Richters, schmuggelte gerade einen Verrückten aus dem Krankenhaus! Das würde sie ihrer Mutter heute Abend ganz bestimmt nicht erzählen.
Sie gingen den Flur hinunter, bogen um die Ecke – und fielen fast über den Essenswagen, der von einer Schwester geschoben wurde. »Vorsicht!«, rief die Frau – und dann erkannte sie Darian und riss die Augen auf. »Augenblick mal! Du sollst doch hierbleiben!«
»Lauft!«, rief Philipp und sie rannten los. Nicht zum Aufzug, wie Melanie gedacht hatte, sondern direkt zur Treppe. Philipp riss die Tür auf, und sie stürzten hindurch und rannten die zwei Etagen
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