Der Schwur
Nachtfrost nicht mehr zurückkommt?«
»Du könntest mit mir in die Schule gehen. Kannst du überhaupt lesen und schreiben?«
»Nein«, sagte er verächtlich. »Das ist was für Händler.«
Dazu fiel Melanie überhaupt nichts ein. Ihre nebelhaften Vorstellungen, wie sie Darian möglichst unauffällig in ihren Alltag einschleusen konnte, zerstoben zu nichts. Er würde bei jeder Gelegenheit den Prinzen herauskehren, von Autos und Fahrrädern überfahren werden und am Essen herummäkeln – oder das Essen gar nicht erst vertragen, was noch schlimmer war.
»Wie lebt ihr denn in eurer Welt?«, fragte sie, um überhaupt einen Anhaltspunkt zu finden.
»Nun ja, ich stehe morgens auf, schwimme, reite, fechte, ringe, dann gibt es etwas zu essen, und nachmittags lerne ich, wie man sich am Hof benimmt. Danach lerne ich den Umgang mit dem Messer ...« Er verstummte und runzelte die Stirn. »Ohne meinen Dolch fühle ich mich nackt. Es ist eine Ehrenwaffe, verstehst du – weil ich zwar adlig bin, aber noch zu jung für ein Schwert. Gibt es einen Messerschmied in eurem Dorf? Ich weiß natürlich nicht, wie ich ihn bezahlen soll – ich habe ja nicht einmal ein Pferd, das er in Zahlung nehmen könnte, und –«
»Hör auf!«, bat Melanie. »Mir ist jetzt schon schlecht. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll – das geht alles gar nicht! Du musst unbedingt zurück in deine Welt! Du kannst hier nicht bleiben!«
Darian machte ein finsteres Gesicht. »Glaubst du, ich kann nicht kämpfen?«
»Doch, ganz bestimmt – das ist es ja gerade. So etwas tun wir hier nicht – ich meine –«
Überrascht zog er die Brauen hoch. »Dann gibt es hier keinen Krieg?«
Melanie starrte ihn stumm an und beschloss in dieser Sekunde, dass Darian von Chiarron nicht einmal in die Nähe eines Fernsehers oder Radios kommen durfte, solange er hier war. Aber wie konnte sie ihn von diesem Thema abbringen? Verzweifelt zermarterte sie sich den Kopf ... und dann wurde ihr die Entscheidung abgenommen. Durch den Forstwald dröhnte ein Knattern, das sich rasch näherte. Erleichtert sprang Melanie auf. »Philipp!«
Aber Darian war noch schneller auf den Beinen als sie und hielt sie zurück, als sie zur Tür laufen wollte. »Warte! Das ist mehr als einer!«
Erschrocken blieb sie stehen und lauschte. Er hatte recht. Mindestens vier Motoren knatterten da heran, und als Melanie und Darian zum Fenster schlichen und hinausspähten, rollten die fünf selbsternannten Höllenteufel mit ihren Mopeds auf den Hof und hielten an. Einer nach dem anderen schaltete den Motor aus und für einen Moment wurde es gespenstisch still.
Da Melanie Darian am vergangenen Abend gezeigt hatte, wie man das Fenster öffnete, und er es sofort sperrangelweit aufgerissen hatte, »um nicht zu ersticken«, konnten sie jetzt gut verstehen, was die Jungen im Hof besprachen.
»He, Max – was machen wir, wenn der Gaul doch wieder hier ist?« Das klang ziemlich nervös; gar nicht so angeberisch, wie sich die »Hell’s Devils« normalerweise verhielten. »Das eine Mal hat mir gereicht!«
»Was denn, hast du Angst vor ’nem blöden Pferd?«, gab Max spöttisch zurück und nahm den Helm ab. »Letztes Mal waren wir nicht vorbereitet, aber diesmal schon. Ich hab Seile mitgebracht – damit fangen wir das Vieh ein und holen uns den Finderlohn ab.«
»Seit wann kannst du Lasso werfen?«
»Wer redet denn von mir?« Max grinste breit. »Für mich hab ich was ganz anderes, und damit habe ich auch schon geübt.« Er hängte den Helm an den Lenker, stieg ab und klappte den Sitz hoch. Melanie konnte erst nicht erkennen, was er herausholte, aber dann schnappte sie entsetzt nach Luft. Es war eine lange schwarze Lederpeitsche mit einem dicken Griff – ein Ding, mit dem man im Zirkus Löwen bändigen konnte.
»Eine Peitsche?«, flüsterte Darian, der plötzlich ganz blass war. »Gegen Nachtfrost? Ist der lebensmüde?« Aber er wartete Melanies Antwort nicht ab. »Sag mal – sind das Soldaten?«
»Was?«, zischte sie entgeistert. »Wie kommst du denn darauf?«
»Sie tragen Uniformen. Und die Dinger, auf denen sie reiten –«
»Vergiss das ganz schnell«, wisperte sie. »Das sind ein paar eklige Jungs aus meiner Schule, die alle Leute terrori–«
»Sag mal, Max«, sagte einer der Jungen, »das Fahrrad da, das haben wir doch heute schon mal gesehen.«
Melanie blieb das Herz stehen.
»Stimmt«, sagte Max mit gedehnter Stimme. »Diese kleinen Mädchen werden allmählich echt lästig.« Sie
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