Der Schwur
Vergeblich schrie sie ihm nach, anzuhalten und sofort zurückzukommen. Bald war er in der Dunkelheit verschwunden.
Dieser blöde Idiot!
Sie brachte ihr Fahrrad in die Garage und schlich möglichst leise ins Haus. Vielleicht konnte sie ungesehen in ihr Zimmer kommen. Aber sie hatte Pech: Noch während sie im Flur ihre Schuhe auszog, ging die Wohnzimmertür auf.
»Nun?«, sagte Frau Vittori. »Was ist mit Sonja? War es wichtig genug, dass du deswegen das Abendessen versäumen musstest?«
»Entschuldigung«, murmelte Melanie. Sie wusste genau, dass ihre Mutter Unzuverlässigkeit und jede Art von Verspätung hasste.
»Du hast meine Frage nicht beantwortet, Melanie.« Frau Vittori mochte es auch nicht, wenn man ihr auswich.
»Alles in Ordnung«, sagte Melanie unbehaglich.
»Also ist sie wieder zu Hause?«
Lügen wollte Melanie nicht. Sie zuckte die Achseln.
»Schön«, sagte Frau Vittori. »Also wieder einmal viel Lärm um nichts. Geh duschen! Und danach kannst du dir in der Küche ein paar belegte Brote abholen.«
»Mama, ich habe das Handy wiederbekommen.«
»Da hast du ja noch mal Glück gehabt.« Ohne ein weiteres Wort verschwand Frau Vittori wieder im Wohnzimmer.
Später saß Melanie in ihrem Zimmer auf dem Bett und schaute sich um, während sie Brote mit Schinken und Käse aß. Von allen Wänden blickten sie Pferde an. Ob es wohl auffallen würde, wenn sie ein winzigkleines Foto von Philipp Berger dazwischen anpinnte?
Sie wurde knallrot.
»Melanie Vittori«, sagte sie laut, »du bist einfach ultrapeinlich.«
Und mit dieser Erkenntnis putzte sie sich die Zähne, kroch ins Bett und machte das Licht aus.
Am Montag fehlte Sonja in der Schule. Darauf angesprochen, rettete Melanie sich mit einem Achselzucken und einem gemurmelten »Ist wohl krank.«
»Vom Pferd gefallen?«, fragte Nele spitz.
»Von welchem?«, fragte Annika. »Der Waldhof ist doch geschlossen worden. Wegen der katastrophalen hygienischen Verhältnisse, hat mein Vater gesagt. Wurde ja auch höchste Zeit. Gehst du jetzt zum Reiten nach Vierlinden, Melanie? Ich hab nämlich überlegt, mich auch dort anzumelden. Da gibt es echte Vollblüter.«
Wieder zuckte Melanie nur die Achseln. »Vielleicht. Mal sehen, was Sonja sagt.«
»Ach?«, machte Nele spöttisch. »Seit wann ist es wichtig, was Sonja sagt?«
Melanie wurde rot, weil sie genau wusste, dass nur ihr eigenes Verhalten in der Vergangenheit Nele dazu brachte, so zu reden. »Sie ist immer noch meine Freundin«, sagte sie und wunderte sich selbst über den entschiedenen Ton ihrer Stimme. »Vielleicht merkst du dir das mal!«
»Oh, entschuldige bitte«, sagte Nele beleidigt und stolzierte davon.
Nach Schulschluss marschierte Melanie über den Schulhof zu ihrem Fahrrad. Aber unterwegs wurde sie immer langsamer und blieb schließlich stehen, und ihr Herz schlug plötzlich bis zum Hals. Fünf ältere Jungen standen neben ihrem Fahrrad und schauten ihr entgegen.
Die »Hell’s Devils« – die Typen mit dem dämlichsten Namen und dem schlechtesten Ruf der ganzen Schule.
Was wollten die von ihr?
Ganz langsam ging sie weiter, umklammerte ihre Schultasche und überlegte, ob sie das Fahrrad einfach stehen lassen sollte. Aber wahrscheinlich schlugen sie es dann kurz und klein.
Besonders gut sahen die fünf nicht aus. Einer hatte ein dickes Pflaster auf der Stirn, ein anderer trug den Arm in einer Schlinge, und ein Dritter hatte eine hässliche rotblaue Schramme quer über die Wange. Sie sahen aus, als hätten sie endlich einmal in einer Schlägerei den Kürzeren gezogen. Aber so etwas machte diese Typen nur noch aggressiver. Melanie blieb wieder stehen. Nur fünf Meter trennten sie noch von ihrem Fahrrad und den Jungen, die sie schweigend beobachteten. Etwas stimmte nicht – normalerweise fielen bis zu dieser Entfernung schon die ersten höhnischen Beleidigungen.
Sie kratzte ihren gesamten Mut zusammen. »Ist was?«
Sie beobachteten sie nur wie lauernde Wölfe.
»Frechheit siegt«, dachte sie und marschierte mitten zwischen sie.
Leider traten sie nicht zurück, wie sie eigentlich gehofft hatte, sondern rückten enger zusammen und schlossen sie ein. Jeder von ihnen war einen ganzen Kopf größer als Melanie und sie fühlte sich sehr unbehaglich.
Der mit dem Stirnpflaster – ihr Anführer Max, erinnerte sie sich –, beugte sich vor und sagte: »Deine Freundin. Wo ist sie?«
Hilfe. Was hatten diese Typen mit Sonja zu tun? »Nicht hier«, antwortete sie und hoffte, dass ihre Stimme
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