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Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen

Titel: Der Scout. Kleinere Reiseerzählungen, Aufsätze und Kompositionen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Capo gegeben wurde.
    Und jetzt hörte ich diese Composition des Freundes nach Jahren zum zweiten Male, und zwar an einem Orte, an welchem ich kaum die Gegenwart eines Indianers, noch viel weniger aber die Anwesenheit eines so gut geschulten Doppelquartetts vermuthen konnte! – Als ich die letzten Töne über dem Thale verklingen hörte, riß ich die Büchse von der Schulter, feuerte die beiden Läufe schnell hintereinander ab und gab dem Schwarzschimmel die Sporen. Ich sauste über das Thal hinüber, in das Flüßchen hinein, drüben wieder heraus und dann auf die Blockhütten zu, ohne mich ein einziges Mal umzusehen, ob mir die Gefährten auch folgten.
    Die beiden Schüsse hatten nicht nur das Echo des Thales geweckt, sondern auch anderes Leben herbeigerufen. Die Thüren der Blockhäuser öffneten sich und es erschienen Leute, welche besorgt ausschauten, was das Schießen zu bedeuten habe. Als sie einen Weißen in halbwegs civilisirtem Kostüm erblickten, beruhigten sie sich und traten mir erwartungsvoll entgegen.
    Vor der Thür des mir nächstliegenden Blockhauses stand ein altes Mütterchen. Ihr Gewand war einfach und sauber; ihr ganzes Aeußere zeugte von fleißiger Arbeit, und über ihr Angesicht, welches von schneeweißen Haaren eingefaßt wurde, lag jener selig lächelnde Frieden ausgebreitet, welcher nur das Eigenthum einer Seele sein kann, die mit ihrem Gotte in unwandelbarem Vertrauen lebt.
    »
Good evening, grand-mother
– guten Abend, Großmutter! Ich bitte, nicht zu erschrecken; wir sind ehrliche Backwoodsmen! Wird es uns erlaubt sein, abzusteigen?«
    Sie nickte lächelnd und antwortete:
    »
Welcome, Sir!
Steigt in Gottes Namen ab! Ein ehrlicher Mann ist uns hier stets willkommen. Da seht meinen Alten und meinen Willy; sie werden Euch behülflich sein!«
    Die Sänger waren durch meine Schüsse aufmerksam gemacht worden und schleunigst von der Höhe herabgestiegen. Jetzt hatten sie die Wohnungen erreicht, voran ein rüstiger Greis und neben ihm ein prächtiger junger Mann, hinter ihm noch sechs ältere oder jüngere Männer und Bursche, Alle in der festen, haltbaren Tracht des Hinterwaldes. Auch diejenigen Personen, welche ich vor den andern Gebäuden hatte stehen sehen, waren herzugetreten. Der Alte streckte mir mit biederer Miene die Rechte entgegen und begrüßte mich:
    »Willkommen, Sir, in Helldorf-Settlement! Das ist eine Freude, einmal Menschen zu sehen! Willkommen abermals!«
    Ich sprang vom Pferde und erwiderte seinen Handschlag:
    »
Thank you, Sir!
Es gibt keinen schöneren Anblick im Leben, als ein freundliches Menschenangesicht. Habt Ihr ein Nachtlager für drei müde Reiter?«
    »Allemal! Wir werden doch einen Platz haben für Leute, die uns willkommen sind!«
    Bis jetzt hatten wir englisch gesprochen; da aber trat einer der jüngeren Männer näher herbei und rief, mich schärfer betrachtend:
    »Vater Hillmann, Ihr könnt mit diesem Herrn deutsch reden. Hurrah, ist das eine Ehre und eine Freude! Rathet einmal, wer das ist!«
    Der alte Hillmann blickte verwundert auf und frug:
    »Wohl gar ein deutscher Landsmann? Kennst Du ihn?«
    »Ja, aber ich mußte mich erst besinnen. Willkommen Herr! Nicht wahr, Sie sind es, der das Ave Maria gedichtet hat, welches wir soeben gesungen haben?«
    Jetzt war ich an der Reihe, mich zu verwundern.
    »Allerdings,« antwortete ich. »Woher kennen Sie mich?«
    »Von Chicago her. Ich war Mitglied im Gesangverein des Directors Balding, der Ihr Gedicht componirt hat. Können Sie sich noch auf das Concert besinnen, in welchem es zum ersten Male gesungen wurde? Ich sang damals zweiten Tenor, jetzt aber ersten Baß. Meine Stimme ist herabgegangen.«
    »Ein Deutscher – ein Bekannter von Bill – ein Dichter – von unserm Ave Maria!«
    So rief es rund um mich her, und so viel Männer, Frauen, Buben und Mädchen zugegen waren, so viele Hände streckten sich mir entgegen und so viele Stimmen riefen mir ein immer wiederholtes Willkommen zu. Es war für mich ein Augenblick der Freude, wie man sie nicht sehr oft erlebt.
    Mittlerweile hatten uns auch Winnetou und Fred erreicht. Bei dem Anblicke des Ersteren schienen die guten Leute besorgt werden zu wollen; ich aber suchte ihre Befürchtungen sofort zu zerstreuen:
    »Das ist Fred Walker, ein Savannenmann, und dieser ist Winnetou, der berühmte Häuptling der Apachen, vor dem Sie keine Angst zu haben brauchen.«
    »Winnetou? Ist’s möglich?« frug der alte Hillmann. »Von dem habe ich hundertmal erzählen hören, und nur

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