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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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sich neben sie auf das Sofa, und sie wich vor ihm zurück.
    »Lizzie«, sagte er.
    »Nein.«
    »Ich möchte es Ihnen erzählen.«
    »Was?« Sie klang müde. Ihre Stimme war flach. Sie wollte ihm nicht zuhören.
    »Dass ich keinen Grund zum Leben habe. Dass Lizzie alles war, und jetzt ist da nichts. Kein Lebenszweck. Kein Grund. Alles, was ich hatte, war Lizzie, alles, was ich tat. Für Lizzie. Wegen Lizzie. Ich existierte wegen Lizzie. Was ist da jetzt noch?«
    »Alles. Alles andere in der Welt da draußen … Was würde Lizzie von Ihnen erwarten?«
    »Ich hasse es, wenn Menschen Toten Dinge unterstellen. ›Sie hätte gewollt, dass …‹ Woher zum Teufel wollen sie das wissen? Sie können es nicht wissen, außer, sie haben vorher darüber gesprochen. Das sagen sie doch nur, damit sie etwas, das sie wollen, mit reinem Gewissen tun können.«
    »Manchmal. Ja. O ja. Wir wollen die Party nicht absagen, daher sagen wir …«
    »… sie hätte das so gewollt«, sagten sie gemeinsam. Max lächelte.
    »Ich habe Lizzie nicht gekannt. Wenn Sie es gewesen wären … wenn Sie gestorben wären, hätte sie dem Leben dann den Rücken zugekehrt?«
    »Gott, nein. Lizzie war Leben. Bis … Leben und Lizzie austauschbar waren.«
    »Und?«
    »Ich bin nicht wie Lizzie. Ich hab mir nie viel aus dem Leben gemacht, wissen Sie. Dann kam Lizzie. Sie war mein Ein und Alles. Sonst gab es nicht viel.«
    »Was für eine Verschwendung.«
    »Lizzies Tod ist eine Verschwendung.«
    »Wenn das stimmt – und ich weiß nicht, ob es so ist –, gibt es Ihnen nicht das Recht, den Rest des Lebens, Ihres Lebens, wegzuwerfen. Da ist noch alles andere … Sie schulden es ihr sicherlich, es in beide Hände zu nehmen.«
    »Er passt zu Ihnen, nicht wahr, dieser verdammte Kragen?«
    »Max, ich muss aufs Klo.«
    »Okay.« Er stand auf.
    »Ich bin sehr, sehr müde. Können Sie nicht einfach aufhören und gehen? Bitte. Gehen Sie doch. Niemand wird Ihnen etwas anhaben.«
    »Gehen Sie auf die Toilette.«
    Ihre Beine schmerzten, ihr Kopf fühlte sich leicht an. Sie konnte nicht mehr logisch denken. Zufällige Gedanken kamen und gingen. Sie wollte weinen. Sie wollte schreien.
    Sie ging ins Badezimmer und verriegelte die Tür. Sie wusch sich das Gesicht und hielt ihre Hände unter den kalten Wasserstrahl. Betete, obwohl sie darüber hinaus war, mehr zu tun, als sich Gott anzuvertrauen. Genau wie Max. Sie vergaß nicht, für Max zu beten.
    Wenigstens wurde sie in ihrem eigenen Heim festgehalten. Sie konnte essen, trinken, auf die Toilette gehen, sich waschen, schlafen. Sie war unverletzt. Wenn sie trotzdem so empfand, wie musste es dann für Menschen sein, die in schrecklicher Umgebung festgehalten wurden – im Dunkeln, im Kalten, unter Bedrohung, ohne Essen, in ihren eigenen Exkrementen, tagelang, wochenlang, monatelang? Wie musste das sein?
    Noch einmal wusch sie ihr Gesicht, trank etwas Wasser. Strich sich über das Haar. Trat hinaus.
    Max packte sie und wirbelte sie herum, sein Arm um ihre Kehle. Draußen hörte sie Stimmen. Er zerrte sie ins Wohnzimmer und hinüber zum Fenster, zog den Vorhang mit einem Arm zurück, während er sie mit dem anderen festhielt. Jane erhaschte einen Blick auf das Gesicht eines Mannes vor der Scheibe. Dann merkte sie, dass Max ihr eines der Messer an das Gesicht hielt. Es fing das Sonnenlicht auf. Sie schloss die Augen und betete verzweifelt, Schweiß lief ihr über den Nacken.
    »Seht ihr«, schrie er, »seht ihr? Ich hab euch gewarnt, was passieren würde, wenn ihr hereinzukommen versucht. Seht her.«
    Aber es dauerte nur Sekunden, in denen der Mann auf der anderen Seite des Fensters und die anderen ein Stück hinter ihm sie beide sehen konnten, ehe Max den Vorhang wieder fallen ließ. Gleich darauf nahm er den Arm von ihrer Kehle und warf das Messer in den Kamin.
    Janes Beine gaben nach, und sie fiel auf das Sofa. Max kniete auf dem Boden, das Gesicht im Stuhlpolster vergraben, und schluchzte.
    Wenn sie nicht vor Angst und Schock so gelähmt gewesen wäre, dass es ihr die Stimme verschlug, hätte sie vielleicht die Chance ergriffen, aufzuspringen und zur Tür zu stürzen, bevor er sie erreichen konnte. Aber sie konnte nichts tun. Sie saß zitternd da, konnte vor Schmerzen in der Brust kaum atmen, ihr Herz raste, pulsierte in ihren Ohren, ihrem Kopf.
    Auf diese Weise verharrten sie lange Zeit, dann wurde es still im Zimmer, und sie beide schienen sich in einem merkwürdigen Zustand des Schwebens und der Ruhe zu befinden,

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