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Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition)

Titel: Der Seele schwarzer Grund: Kriminalroman (Knaur HC) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
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nicht mit den Fingern, legte keine Hand auf die andere, kratzte sich nicht, pulte nicht an ihren Nägeln. Ihre Hände vor ihr auf dem Tisch waren so still, als wären es Wachshände. Wenn Hände sprechen könnten, würden sie vielleicht am meisten erzählen. Es waren gewöhnliche Hände, nicht sehr groß.
    »Wohin wollten Sie mit Kyra fahren, Ed? Sie müssen doch einen Plan gehabt haben.«
    »Hab ich doch schon gesagt. Urlaub. Ein Wohnwagen.«
    »Haben Sie das auch den anderen erzählt?«
    »Was?«
    »Komm mit, wir machen Urlaub, wir fahren zu einem Wohnwagen. Haben Sie ihnen erzählt, ihre Freunde würden dort auf sie warten? Haben Sie gesagt: ›Alles ist gut, Mummy und Daddy kommen später auch dorthin‹?«
    Sie sah ihn direkt an. Ihr Blick war fest. Ihre Augen verbargen nichts. Gewöhnliche Augen. Sie war so gewöhnlich.
    Es war etwas, das Serrailler jedes Mal bemerkt hatte, wenn er Mördern nahegekommen war, außer sie standen unter Drogen oder waren nicht bei Sinnen. Die Gewöhnlichkeit. In einer Menge würde sie nicht auffallen. Ed. Jungenhaft. Weder unscheinbar noch hübsch. Nicht abstoßend. Nicht bemerkenswert. Nicht erinnerungswürdig. Gewöhnlich.
    »Wie sehen Sie sich selbst, Ed?«
    Sie blinzelte. Schüttelte dann den Kopf.
    »Verstehen Sie, was ich meine?«
    »Nein.«
    »Ich meine nicht, wie Sie aussehen, ich meine, was Sie sind … Wie sehen Sie sich selbst? Als jemanden, der nicht weiter auffällt? Den die Menschen kaum bemerken würden … Wenn wir fragten: ›Wie hat sie ausgesehen?‹, würden sie sich nicht so richtig erinnern können. Eigentlich bedeutungslos, nichtssagend. Sehen Sie sich so?«
    »Nein.«
    »Wie dann?«
    »Ich bin … Ed, das sehen die Leute. Ed. Mich. Sie kennen mich. MICH. Kyra … fragen Sie sie … Sie hält viel von mir, sie möchte ständig zu mir rüberkommen. Die Leute denken … Sie denken einfach Ed.«
    »Gute Ed? Hübsche Ed? Seltsame Ed?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    »Aber was glauben Sie selbst? Nennen Sie mir ein Wort. Beschreiben Sie ›Ed‹.«
    Das Schweigen dauerte Minuten, nicht Sekunden. Ed starrte auf ihre Hände, doch die Hände bewegten sich immer noch nicht. Tote Hände.
    Dann sah Serrailler, dass sie weinte. Stille Tränen, die sehr langsam, einzeln über ihre Wangen liefen. Er wartete. Sie machte keine Anstalten, sie wegzuwischen.
    »Erzählen Sie es mir einfach«, sagte er leise. »Das ist ganz leicht. Sagen Sie mir die Namen. Und dann erzählen Sie mir, was passiert ist. Ed?«
    Nichts. Das Schweigen hielt an, und die Wachshände blieben still, und die Tränen kamen, eine nach der anderen, liefen langsam hinunter, und er wartete. Und da war nichts.

Zweiundzwanzig
    D ie Männer sind wieder da.«
    »Komm weg vom Fenster, wie oft muss ich dir das noch sagen?«
    »Ja, aber sie gehen wieder in Eds Haus, sie haben gerade die Tür aufgemacht. Ed würde das nicht wollen, ich weiß das. Wenn sie zurückkommt, erzähl ich es ihr. Wann kommt sie zurück?«
    »Ich habe gesagt, KOMM DA RUNTER. Zum Kuckuck, wirst du endlich hören? Ich hab dir gesagt, dass du nicht über Ed reden sollst, vergiss sie. Vergiss, dass sie je gelebt hat.«
    Kyra drehte sich verwundert um.
    »Geh und mach den Fernseher an.«
    »Ich will den Fernseher nicht anmachen. Ich will Ed.«
    »Himmel noch mal. Hör mir gut zu, Kyra … Wenn du den Namen in diesem Haus noch ein Mal, ein einziges Mal aussprichst, hörst du, verprügel ich dich, dass dir Hören und Sehen vergeht, ich geb dich weg, ich schick dich mit dem Streifenwagen. Sag diesen Namen nie wieder, okay? Merk dir das.«
    Langsam, schweigend stieg Kyra von dem Stuhl am Fenster und schlurfte aus dem Zimmer.
    »Kyra!«
    Sie erstarrte.
    »Du versprichst es mir, auf der Stelle. ›Ich werde nie wieder den Namen in diesem Haus aussprechen.‹ Los. Sag es. SAG ES!«
    Kyra hatte Natalie den Rücken zugewandt. Ihre Schultern waren steif, ihr Kopf starr.
    »Sag es. ›Ich werde nie …‹« Eine Pause. Natalie zitterte. »›Ich werde nie wieder …‹«
    »Ich werde nie wieder…«
    Sie konnte die Stimme ihres Kindes kaum hören. »SPRICH LAUTER.«
    »Ich werde nie wieder …« Es war immer noch schwer zu verstehen.
    »›Den Namen …‹«
    »Den Namen …«
    »›In diesem Haus aussprechen‹.«
    »In meinem Haus aussprechen.«
    »›DIESEM Haus‹!«
    »DIESEM Haus.«
    »›Ich schwöre.‹«
    »Ich schwöre.« Dann, nach einer Sekunde, fügte Kyra hinzu: »Amen.«
    »Jetzt verschwinde. Geh nach oben. Geh irgendwohin.

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