Der Seelenbrecher
tatsächlich sprangen ihn auf einmal alle sechs F wie Leuchtfackeln ins Auge.
F INISHED F ILES ARE THE RESULT O F YEARS O F SCIENTI F IC STUDY COMBINED WITH THE EXPERIENCE O F YEARS »Das gibt’s doch gar nicht«, flüsterte Tom.
»Doch, unser menschliches Gehirn denkt immer in Bildern. Und zu dem Wort ›of‹ fällt ihm kein passendes Bild ein, also überliest man es, obwohl der Buchstabe die ganze Zeit direkt vor unseren Augen steht.«
Caspar schüttelte fassungslos den Kopf und fragte sich für einen kurzen Moment, ob Greta gerade von dem Rätsel oder von seinen Erinnerungen sprach.
»Sechs F?« Tom konnte es anscheinend immer noch nicht fassen und zählte noch einmal nach. »Okay, und was, bitte schön, soll uns das jetzt sagen?«
»Tja, Leute, ich hab zwar auch nur drei gezählt, aber ich glaube, hierauf weiß ausnahmsweise einmal ich die Antwort.«
Bachmann zog sein dickes Hausmeisterschlüsselbund aus der Seitentasche des Overalls und zählte eine Vielzahl unterschiedlicher Plastikanhänger durch. »Hier«, sagte er schließlich und hielt ihnen eine grüne Plakette entgegen.
»Das ist der Schlüssel zum Raum Sechs F.«
»Sechs F?«, fragte Yasmin ungläubig. »Davon habe ich noch nie was gehört. Bei uns gibt es doch nur vier Stockwerke. Was soll’n das sein?«
»Na ja, ist ein kleiner Insider zwischen mir und Raßfeld. Sechs F steht für ›Six feet‹. Man mag es kaum glauben, aber Raßfeld hat auch Humor: Sechs Fuß unter der Erde . Im Keller.« Dann, als Bachmann merkte, dass die anderen immer noch nichts verstanden, setzte er nach: »Das ist der Schlüssel für die Pathologie.«
02.16 Uhr
Der Saal empfing sie mit der Gemütlichkeit eines stillgelegten Schlachthofs. Raßfeld hatte mit seinen Studenten hier nur gelegentlich Studienobjekte seziert. Dennoch kam es Caspar vor, als hätten sich die Knochenstanzer, Hirnspatel, Wundspreizer und Skalpelle auch in das Gemäuer des pathologischen Untersuchungsraums gefräst. Die verletzte Seele des Raumes, kam ihm ein Zitat in den Sinn, das er einmal in einem populärwissenschaftlichen Magazin gelesen hatte. Das also war ihm im Gedächtnis geblieben. Nutzloses Wissen über Feng-Shui anstatt brauchbare Hinweise über seine wahre Identität. Caspar fühlte sich innerlich zerrissen. Wie ein Vorschulkind, das nicht weiß, in welcher Straße Mama und Papa wohnen, aber aus irgendeinem Grund aus dem Stand heraus über negative Energie referieren kann. Über Menschen, die die Ansicht vertreten, traumatische Ereignisse würden ihre Spuren nicht nur in der Psyche der Lebenden, sondern auch in der sie umgebenden toten Materie hinterlassen. Wie ein unsichtbarer Fingerabdruck des Bösen, den man spürt, sobald man die Unfallstation eines Krankenhauses oder einen Tatort betritt. Ein Abdruck, der etwas erzeugt, was Esoteriker als Aura und Realisten als Atmosphäre bezeichnen, und der je nach Empfindsamkeit des Betrachters Beklemmungen, Gänsehaut oder Furcht auslösen kann. Die Mehrzahl der Gruppe im Keller schien gerade alles auf einmal zu empfinden. Selbst Sophias Atem ging schneller, fast stoß weise, auch wenn sich ihr teilnahmslos leerer Blick nicht verändert hatte.
»Also, hier möchte ich nicht mal liegen, wenn ich tot bin«, flüsterte Yasmin und stellte den Rollstuhl direkt neben dem Handwaschbecken am Kopfende des Seziertisches ab. Im Halbdunkel des Notlichts hätte man mit einiger Phantasie den handtuchförmigen Raum für die Küche eines futuristischen Exzentrikers halten können, mit grauem Steinfußboden, weiß gefliesten Wänden und einem Arbeitsblock aus gebürstetem Aluminium in der Mitte. Nur dass die Dunstabzugshaube in Wahrheit ein Halogenstrahler war und die verchromten Kühlschrankschließfächer nicht für Lebensmittel, sondern für Leichenteile gedacht waren.
Bachmann schaltete die gewölbten Deckenlampen an, was die unheilvolle Atmosphäre noch verstärkte. »Und was suchen wir hier?«, fragte Schadeck. »Nach einem weiteren Hinweis.«
Caspar überprüfte den Fußboden nach Blutflecken. Doch anders als nebenan in der Radiologie schien der Seelenbrecher hier keine Spuren hinterlassen zu haben. »Wofür braucht ihr als private Psychoklinik überhaupt so einen Leichenkeller?«, wollte Schadeck wissen. »Ich glaube, das ist Vorschrift. Jedes Krankenhaus muss darauf vorbereitet sein, sollte einmal einer der Patienten sterben.« Bachmann kratzte sich nachdenklich über seinen kahlen Schädel.
»Aber das ist noch nie vorgekommen.«
Bis heute, dachte
Weitere Kostenlose Bücher