Der Seelenbrecher
Dingern hier …«, er zog einen weiteren Miniaturweinbrand hervor, »… ist die Wartezeit vielleicht etwas erträglicher.«
Fünf Stunden?
Verdammt, das war zu lange. Die Zeit tropfte mit der Trägheit flüssigen Glases voran, während die todbringende Spirale des Todesschlafs sich unaufhaltsam in der Ärztin drehte. Vanessa Strassmann war zwar erst Wochen später gestorben, aber wer wusste schon, wie sehr Sophia sich in sich selbst verlor und wann sie eine Grenze überschritt, hinter der sie das Gefängnis ihres Körpers nicht mehr verlassen konnte – und damit das Wissen um seine Tochter in sich begrub?
»Hey, was ist das denn?«
Schadeck ließ den Jutebeutel zu Boden fallen. Caspar drehte seinen Kopf nach oben und sah zum ersten Mal einen Anflug von Angst in Toms Augen aufblitzen. Nur widerwillig löste er die Finger von Sophias Hand und stand auf.
»Darf ich mal sehen?«
Schadeck reichte ihm den kleinen Papierschnipsel. »Ich denke, das ist ein weiterer Gruß unseres Seelenbrechers.«
Der Sanitäter sprach leise und mehr mit sich selbst als mit allen anderen.
»Wo hast du ihn gefunden?«, fragte Bachmann aufgeregt.
»Hier, in dem Sack. Zwischen den Lebensmitteln«, erklärte Tom. »Bruck muss den Zettel da reingelegt haben, gleich nachdem er die Köchin überwältigt hat.« Caspar nickte.
Das ergibt Sinn. Bruck bleibt bei seiner Methode. Ein Opfer im Austausch gegen ein Rätsel.
Caspars Finger zitterten. Der Zettel war genauso gefaltet wie die anderen. Mit der Wahl des Papiers schien der Seelenbrecher sein Opfer verhöhnen zu wollen. Er war ganz offensichtlich in Sophias Büro gewesen und hatte dieses Rätsel auf einen ihrer Rezeptblöcke geschrieben. Der unleserliche Schriftzug der Großbuchstaben ließ unheilvolle Rückschlüsse auf seine geistige Verfassung zu. »Was steht drauf?«, fragte der Hausmeister ungeduldig. »Ich will es gar nicht wissen.« Yasmin presste sich beide Hände gegen die Ohren und wandte sich ab. Doch Caspar entblätterte das Papier, dann las er den mysteriösen Text laut vor:
FINISHED FILES ARE THE RESULT OF YEARS OF SCIENTIFIC STUDY COMBINED WITH THE EXPERIENCE OF YEARS »Hä?«
Während Schadeck nur genervt aufstöhnte, vibrierte Bachmanns Stimme vor Anspannung.
»Und was soll das bitte bedeuten?«
Caspar sah auf, rieb sich mit dem Handrücken eine Wimper aus dem Augenwinkel und atmete tief durch. »Ich habe keine Ahnung«, sagte er wahrheitsgemäß und ließ die Hand mit der Rätselkarte hängen.
»Aber es gibt jemanden, den wir fragen könnten.«
02.07 Uhr
Der nachträglich in die Villa eingebaute Fahrstuhl war groß genug, um ein Krankenbett aufzunehmen, also fanden sie alle in ihm Platz. Caspar hatte darauf bestanden, dass sie zusammenblieben. Auch in freier Wildbahn bildeten Tiere einen beweglichen Schwarm, der ihren Jägern keine klare Angriffsfläche bot. Zumindest, solange niemand mit einem besonderen Merkmal aus der anonymen Gruppe herausstach.
Caspar musterte die funkelnden Chromspeichen des Rollstuhls und wusste, wen das Raubtier sich als Erstes aussuchen würde, wenn sie Sophia nicht in ihrer Mitte beschützten.
»Wo geht’s eigentlich hierhin?«, fragte Caspar und deutete auf das Schild neben dem Messingknopf mit dem Minuszeichen vor der Zwei.
»Ins zweite Kellergeschoss«, antwortete Bachmann. »Raßfelds Labor. Könnte mir vorstellen, dass Bruck dort sein Versteck hat.«
»Wieso?«, fragte Caspar und drückte die Vier.
»Um ganz nach unten zu fahren, braucht man einen Extraschlüssel. Und den hat nur Raßfeld. Sehen Sie?« Während sich die Fahrstuhltüren schlossen, drückte Bachmann auf den untersten Fahrstuhlknopf, der jedoch nur einmal kurz aufflackerte.
»Ich will weder nach oben noch nach unten«, maulte Yasmin, als der Aufzug sich mit seiner gewohnten Langsamkeit in Bewegung setzte. »Sie haben doch vorhin selbst gesagt, wir sollten besser in der Bibliothek bleiben.«
Caspar stöhnte.
»Nein, ich habe nur gesagt, wir sollten uns nicht mehr trennen.« Zum Glück fielen ihm wenigstens die anderen nicht in den Rücken. Der Hausmeister, weil er froh war, nach dem Desaster mit Sybille keine eigenen Entscheidungen mehr treffen zu müssen. Und Tom, weil er lieber in Bewegung blieb, als passiv in einer möglichen Falle zu hocken.
»Möglicherweise haben Sie recht, Yasmin. Aber kennen Sie das Gedicht über falsche Entscheidungen?«, fragte er die Krankenschwester. Sie pustete ihren Pony von den Augen weg und sah ihn verständnislos an.
»Sollte ich?«
»Es
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