Der Seelenfänger (German Edition)
ihm
Masl tov
zu. Sogar die blass und besorgt aussehenden Studenten der Theoretischen Magie, die in einer Ecke des Cafés zusammenhockten, hoben kurz die Augen von ihren geomantischen Beweisen und lächelten in Saschas Richtung.
Mr Kessler bestellte zwei Türkische Mokka, die Spezialität des Hauses, stützte sich mit dem Ellbogen auf die Theke, setzte einen Fuß auf die Messingstange unterhalb der Bar und plauderte los. Wenn er seinen Vater so sah, konnte Sascha ihn sich gut als Student in Moskau vorstellen, wie er dort mit Begeisterung über Politik und Philosophie diskutiert hatte. Schließlich war sein Vater genauso klug wie Onkel Mordechai. Der Unterschied zwischen den beiden Brüdern war, dass Saschas Vater seine Träume zurückgestellt und sich dem Wohl der Familie gewidmet hatte.
Der Kaffee kam in dampfenden kleinen Tassen mit zierlichen Silberhenkeln. Sascha schlürfte den köstlich duftenden tiefschwarzen Mokka, aber noch mehr genoss er es, dass sein Vater von Gleich zu Gleich mit ihm sprach, wie mit einem Erwachsenen. Schließlich nahm er sich ein Herz und stellte die Frage, die ihn seit dem gestrigen Abend beschäftigte.
»Wer hat deiner Meinung nach Mamas Medaillon gestohlen?«
»Wie meinst du das? Glaubst du, es war jemand, den wir kennen?«
»Nein, das nicht! Aber warum sollte es überhaupt jemand haben wollen?«
»Wer weiß? Vermutlich war es so ein Zauberabhängiger, der aus Chinatown herübergekommen ist. Arme Teufel, die alles klauen für ein kurzes Glück.«
»Glaubst du nicht, der Dieb könnte es auf die Haarlocken abgesehen haben?«
Sein Vater sah ihn verblüfft an. »Was redest du da? Fürchtest du etwa, dass dir jemand einen
Dibbuk
anhexen will?«
Beim Klang des Wortes
Dibbuk
fuhr der Mann neben ihnen zusammen und machte das Zeichen gegen den bösen Blick. Mr Kessler sah ihn verächtlich an und wandte sich wieder seinem Sohn zu. »Du hast zu viele Groschenhefte gelesen, Sascha. Das hat deine Fantasie überhitzt.«
»Vielleicht, aber … könnte es nicht doch ein Hexer oder Geisterbeschwörer gewesen sein?« Sascha wusste nichts Genaues über solche Personen, aber er hatte gehört, dass sie manchmal Haarlocken verwendeten, um ihre Opfer zu verhexen.
»Was sollte ein Hexer denn von uns wollen, das diese Mühe wert wäre? Aber du und Beka, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Schließlich habt ihr einen Großvater, der euch beschützt.«
»Opa?«, fragte Sascha ungläubig.
»Aber sicher. Was glaubst du denn, was er und Mo jeden Abend in der
Schul
machen, Poker spielen? Ich mag ja ein bisschen aus der Reihe tanzen, aber du kommst aus einer Familie mit einer langen Kabbalistentradition. Ein hergelaufener Geisterbeschwörer schafft das nicht, dir oder Beka etwas anzuhexen.«
»Oh.« Daran hatte Sascha noch gar nicht gedacht. Zwar wusste er, dass sein Großvater ein Kabbalist war. Aber ihm war nicht klar, dass Kabbala gleichbedeutend mit Magie war und dass sein Großvater folglich etwas mit den Hexern und Zauberern gemein haben könnte, nach denen die Inquisitoren fahndeten. »Hm … meinst du, ich sollte Inquisitor Wolf von Großvater berichten?«
Saschas Vater verzog das Gesicht. »Wenn es nicht sein muss, würde ich nicht darüber reden.«
Beide tranken schweigend ihren Kaffee.
»So«, setzte Mr Kessler wieder so fröhlich ein, als hätte es keine Diskussion über Dibbuks und Hexer gegeben. »Der große Tag ist da. Aufgeregt?«
»Ja, schon …«
»Machst du dir etwa Sorgen wegen Inquisitor Wolf? Das musst du nicht, ich kenne doch meinen Sohn. Du bist schlau und obendrein sehr fleißig. Was könnte er an dir auszusetzen haben?«
Sascha blickte seinem Vater in die Augen – und merkte erstaunt, dass er gar nicht mehr zu ihm aufschauen brauchte. Seit wann war er so groß wie sein Vater? Und seit wann hatte sein Vater so einen krummen Rücken? Hatte er immer schon so alt und müde ausgesehen?
»Ich hoffe nur, dass ich euch daheim ein bisschen helfen kann … wie Beka das ja auch tut.«
Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, da wusste er, dass er einen Fehler begangen hatte. Sein Vater war immer beschämt darüber gewesen, dass Beka die Schule verlassen musste, um bei Pentacle zu arbeiten. Das Wissen darum stand jetzt zwischen ihnen.
»Du meinst, mit Geld aushelfen?«, fragte Mr Kessler scharf. »Meinst du, wir haben dich von der Schule genommen, damit du für uns Geld verdienst?«
»Nein, aber …«
»Für dich haben wir das getan. Für deine
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