Der Seelenfänger (German Edition)
der jüdischen Magie und es war die Gier in Person. Er verschlang Seelen und nährte sich von Schatten. Die dicht bevölkerten Mietskasernen New Yorks beherbergten mehr Seelen – und Schatten – als jeder andere Ort der Erde. Hinzu kam, dass ein Dibbuk nur von einem Kabbalisten auf sein Opfer angesetzt werden konnte. Mit anderen Worten, Morgaunt bezichtigte einen Rabbi dieses Verbrechens.
Sascha wollte mit einem verstohlenen Seitenblick herausfinden, wie Wolf darauf reagierte. Doch der schien sich mehr für den zweiten Teil der Nachricht zu interessieren. »Thomas Edison?«, fragte er. »Der Erfinder? Der Zauberer vom Lunapark?«
Morgaunt lachte nur. »Eine dumme Bezeichnung für das sensationslüsterne Publikum. Er ist genauso wenig ein Zauberer wie der Polizeipräsident neben mir. Nein, er ist ein Mann der Wissenschaft, ein Mann für ein neues Land und ein neues Zeitalter. Er wird die Zauberquacksalber überflüssig machen, weil er Magie durch Maschinen ersetzt. So wird die Zukunft aussehen, Wolf. Schluss mit dem europäischen Aberglauben und den Zauberbuden. Das Zeitalter der Magie ist vorüber, nun beginnt das Zeitalter der Maschinen. Die Zukunft gehört denen, die die Maschinen besitzen.«
»Und was versprechen Sie sich von Mr Edisons Maschinen?«
»Geld, Wolf. Geld und Macht.«
Wolf schaute Morgaunt mit ausdrucksloser Miene an. Seit sie in Morgaunts Palast waren, zeigte sich Wolf vollkommen gleichgültig. Konnte man von Natur aus so teilnahmslos sein? Oder gehörte diese Blasiertheit zu Wolfs bewunderter Ermittlungsmethode?
»Oh«, sagte Morgaunt, griff zu seinem Glas Scotch, schwenkte es und brachte die goldene Flüssigkeit im Licht des Kaminfeuers zum Funkeln. »Sie meinen, ich sollte mehr Aufhebens darum machen und Ihnen irgendwelche Märchen erzählen? Dass ich mich fürs neue Maschinenwesen interessiere, weil es ja auch dem einfachen Mann auf der Straße zugutekommen wird? Nein, ich rede nicht um den heißen Brei herum, Wolf. Ich lüge auch nicht, das habe ich gar nicht nötig.« Aus seinen stahlgrauen Augen sprach Belustigung. »Manchmal halte ich mich für den letzten ehrlichen Menschen in New York.«
»Sie meinen, nachdem Sie Roosevelt losgeworden sind.«
»Ja, schon. Aber Sie sind ja auch noch da, Wolf. Und ich habe den Eindruck, dass auch Sie ein ehrlicher Mensch sind. Was freilich schade wäre. Ehrlichkeit ist kein gesundes Hobby für einen Polizisten.« Wieder setzte er sein Furcht einflößendes Lächeln auf. »Jedenfalls nicht in New York.«
»Danke für die Warnung«, versetzte Wolf so ruhig, als würden sie über mögliche Regenschauer im Verlauf des Nachmittags reden und nicht über das Risiko, hinterrücks erschossen zu werden, falls er J.P. Morgaunt in die Quere kam. »Ich denke daran, wenn ich wieder einmal den Drang verspüren sollte, mir im Dienst Ehrlichkeit zu leisten. Übrigens, haben Sie eine Idee, wer Edison unbedingt umbringen wollte?«
Doch darüber wollte Morgaunt nicht mit Wolf reden. Stattdessen richtete sich sein Blick auf Sascha und er sah ihn unter Augenbrauen wie Stahlwolle her durchdringend an. »Ist das Ihr neuer Lehrling? Derjenige, der angeblich Magie sehen kann?«
»So heißt es.« Wolf klang wie ein Zeuge, der eine unbequeme Tatsache, die er nur vom Hörensagen kannte, nur zögerlich wiederholt.
Morgaunt musterte Sascha ausgiebig. »Einen wie dich wird man bald nicht mehr brauchen, mein Junge. Edison hat für mich eine Maschine erfunden, die das besser und billiger machen wird. Nun, was sagst du dazu?«
Bei diesen Worten Morgaunts geschah etwas Seltsames mit Wolf. Obwohl er keinen Muskel rührte, schien eine Art Spannung durch seinen Körper zu fließen. Zauberkraft war es nicht, aber doch eine Energie, die Saschas Zweitem Gesicht nicht verborgen blieb. Sollte Wolf die schlichte Kunst der Aufmerksamkeit so perfektioniert haben, dass daraus eine Form der Magie geworden war?
»Edison hat Benjamin Franklins Ätherographen neu erfunden«, sprach Wolf mit einer Stimme, die noch ausdrucksloser war als zuvor.
»Er hat ihn um vieles verbessert.« Morgaunt sagte das mit grimmiger Lust, wie ein Löwe, der eine besonders appetitliche Gazelle erblickt. Das musste Morgaunts Art sein, Freude auszudrücken, nahm Sascha an. »Schauen Sie sich’s mal an.«
Morgaunt humpelte zu einem hohen Mahagonischrank hinter seinem Schreibtisch. Wolf bot ihm nicht seinen Arm als Stütze an, was ihm Sascha nicht verdenken konnte. Der bloße Gedanke, diesen Mann zu berühren, jagte
Weitere Kostenlose Bücher