Der Seelenfänger (German Edition)
eigentlich ist, bis er die Aufgabe erledigt hat.«
Sie stutzte, offenbar war ihr ein Gedanke gekommen, der sie selbst überraschte. »Klingen alle Walzen so ähnlich wie diese?«, fragte sie Morgaunt. »All die Leute, an denen ich auf der Straße vorübergehe und die ich nicht weiter anschaue, haben die alle so ein bewegtes Innenleben?«
»Nein.« Morgaunt lächelte wieder sein verschlagenes Lächeln, das Sascha ganz nervös machte. »Das ist keine gewöhnliche Seele.«
»Ja, so muss es sein.« Lily seufzte. »Meine Seele hört sich bestimmt nicht so interessant an. Englische Gouvernanten und Strandpartys in Newport sind wohl nicht die Zutaten für ein leidenschaftliches Innenleben.«
Wolf räusperte sich, als wollte er andeuten, dass es an der Zeit wäre, zum eigentlichen Zweck ihres Besuchs zurückzukehren. »In dem Schrank sind eine große Menge Walzen aufbewahrt«, stellte er fest. »Edison war sehr fleißig.«
»Haben Sie nicht die Zeitungen gelesen? Wir planen, bis zum nächsten Jahr jede Polizeiwache mit einem Hexendetektor auszustatten.«
Wolf schob seine Brille zurecht und lugte durch verschmierte Gläser zu Morgaunt hinüber. »Wenn Sie das tun, lösen Sie eine Hexenjagd aus, wie man sie seit den Hexenprozessen von Salem nicht mehr erlebt hat.«
»Hexenjagd ist so ein melodramatischer Ausdruck«, kommentierte Morgaunt. Sein Lächeln wurde zum Grinsen. »Ich zieh es vor, von einem Register zu sprechen. Die ätherische Ausstrahlung eines Zauberers ist in jeder Hinsicht so unverwechselbar wie seine Fingerabdrücke. Edisons Ätherograph nimmt die magischen Fingerabdrücke aller New Yorker auf, ob Mann, Frau oder Kind. Wenn wir die erst einmal datenmäßig erfasst haben, können wir jeden Urheber von Zauberverbrechen identifizieren oder jeden unerlaubten Umgang mit Magie. Mehr noch, wir werden ein Register aller potenziellen Zauberkriminellen in der Stadt haben. Wir erlassen ein Verbot, wonach es nicht erlaubt ist, sie anzustellen oder ihnen eine Wohnung zu vermieten oder ihre Kinder in eine Schule aufzunehmen. Wir säubern die Straßen von allen Wahrsagern und Geisterbeschwörern. Die Stadt wird ein für alle Mal sauber und sicher sein für alle ehrbaren, zauberfreien Bürger.« Er lächelte. »Und selbstverständlich sorgen wir dafür, dass die Leute alles mit unseren patentierten Ätherographen machen, die von unseren Händlern vertrieben, von unseren Werkstätten repariert und schließlich durch unsere neuen Modelle ersetzt werden.«
»Brillante Idee«, sagte Wolf ohne Begeisterung.
»Nein, Wolf. Das Brillante kommt erst danach, wenn es für alle rechtschaffenen Bürger ausgeschlossen sein wird, Zauberer anzustellen oder Magie zu benutzen. Dann bleibt keine Magie mehr, um alles das zu tun, was der gewöhnliche Amerikaner bisher von Zauberern hat erledigen lassen. Keine Heinzelmännchen, die den Abwasch machen, keine Zauberköche, die leckere Speisen in den Restaurants zubereiten, keine begnadeten Schneider, keine Dichter, keine Spielzeugmacher oder Zuckerbäcker« – hier wanderte sein Blick zu Sascha und Lily. »Schon bald wird jeder Durchschnittsamerikaner ein Leben führen, in dem es nicht mehr die kleinste Spur von Magie gibt. Noch etwas länger und niemand erinnert sich mehr an die Zauberpraktiken, die man früher gekannt hat. Und am Ende werden alle vergessen haben, dass es überhaupt so etwas wie Zauberei gegeben hat.«
»Und man wird nicht mehr ohne Ihre Maschinen leben können, die man für alles braucht.«
»So wird es sein.«
»Und Sie?«, fragte Wolf wie ein beflissener Buchhalter, der sichergehen will, dass er die richtigen Zahlen bekommt. »Werden Leute wie Sie und die Astrals und die Vanderbilks auch auf Magie verzichten?«
»Warum sollten wir?«, fragte Morgaunt selbstbewusst. »Magie ist nur in den Händen kleiner Leute gefährlich. Hingegen ist sie segensreich in den Händen von Männern, die die Kraft und die Überzeugung haben, Amerika in eine goldene Zukunft zu führen.«
»Das ist aber nicht im Sinne des Gesetzes«, hob Wolf immer noch im gleichen müden Ton hervor.
»Das Gesetz!«, höhnte Morgaunt. »Das Gesetz ist für Schnapsnasen und Schwächlinge da. Für überlegene Männer gilt nur das Gesetz des Stärkeren. Das sollten Sie eigentlich wissen, Wolf, schließlich sind Sie kein gewöhnlicher Malocher.«
»Oh, ich bin durchaus gewöhnlich.«
»Sie tun nur so«, widersprach Morgaunt, »im Namen einer un-ausgegorenen, romantischen Auffassung von Demokratie und
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