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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Gleichheit. Aber wie tief muss ich kratzen, bis Ihr wahrer Kern zum Vorschein kommt?«
    Und da begann Morgaunt zu zaubern.
    Der Zauber war so subtil, dass Sascha zuerst nichts davon sah. Morgaunt hatte immer noch sein kaltes, höhnisches Lächeln auf den Lippen. Er fläzte in seinem Ledersessel und schwenkte, das Glas in der Hand, lässig seinen Scotch, aber zugleich fühlte es sich so an, als würde er Wolf bei der Gurgel packen und ihm langsam die Kehle zudrücken.
    Ehe Sascha recht begriff, was eigentlich geschah, war die ganze Bibliothek von Magie erfüllt. Aber nicht der gewöhnliche, alltägliche Zauber, den Sascha aus der Hester Street kannte. Das hier übertraf Menschenmaß bei Weitem. Hier bekam Sascha das gleiche beklemmende Gefühl, das ihn immer befiel, wenn er in die Baugruben blickte, die überall in der Stadt für die neuen U-Bahn-Linien gegraben wurden. Da war man sein ganzen Leben lang in dem Glauben durch die Stadt spaziert, festen Boden unter den Füßen zu haben. Und dann kamen plötzlich Scharen von Bauarbeitern und rissen mit ihren Presslufthämmern das Pflaster auf, und mit einem Mal erkannte man, dass die Erde – die lebende, atmende Erde – immer noch im Dunkel unter der City fortlebte. Und wenn sie je aufwachte, würde sie New York mit seinen Millionen Bewohnern so leicht abschütteln wie ein Hund einen Floh aus seinem Fell schüttelte.
    Wolf und Morgaunt starrten einander immer noch unverwandt an. Es war, als würde der Saal gleich Feuer fangen, so sehr knisterte die Luft. Die ganze Magie der Welt schien, einem Mahlstrom gleich, um einen Punkt zu wirbeln und sich in der goldschimmernden Flüssigkeit in Morgaunts Hand zu sammeln.
    Morgaunt hob das Glas zu einem ironischen Trinkspruch. »Auf unser Wohl, auf Ihres, Wolf, und meines. Auf die letzten beiden ehrlichen Männer in New York.«
    Wolf antwortete nicht. Eine dunkle Röte war in sein gewöhnlich blasses Gesicht geschossen. Sein Atem ging heftig, als wäre er gerade eine Treppe hinaufgelaufen. Sascha wollte ihm schon zu Hilfe eilen und auch Lily hatte die gleiche Regung. Aber wie Wolf blieben auch sie beide auf ihre Plätze gebannt.
    Bis plötzlich alles vorbei war. Mit einer energischen Bewegung aus dem Handgelenk stürzte Morgaunt den Whisky hinunter und damit war der Bann gebrochen. Wolf schwankte und rang nach Luft.
    »Nun, worauf warten Sie noch?«, stichelte Morgaunt. »Ist es nicht höchste Zeit loszutraben und in Polizistenmanier jemanden zu verhaften?«
    »Ich habe den Tatort noch nicht gesehen. Ich habe die Zeugen noch nicht vernommen. Ich habe noch nicht einmal mit Edison gesprochen. Und da soll ich schon jemanden verhaften? Dazu brauchen Sie keinen Inquisitor, Mr Morgaunt. Dazu genügt ein Scherge.«
    Morgaunt grinste. »Sie kränken mich. Niemals würde ich Sie zu einem Schergen machen wollen. In Gottes Namen, führen Sie Ihre Ermittlung durch. Ich sehe immer gern einen Profi bei der Arbeit. Das ändert freilich nichts am Ergebnis, einerlei, was Sie machen. Das ist wie eine Schachpartie, Wolf. Gewöhnliche Spieler setzen sich ans Brett und planen ihre Züge mit dem Ziel zu gewinnen. Ich hingegen richte schon vor dem Spiel alles so ein, dass ich immer der Sieger sein werde, ganz gleich, welche Züge Sie machen.«
    »Und welchen Eröffnungszug haben Sie für mich vorgesehen?«, fragte Wolf stoisch.
    »Sie rechnen mit der Boshaftigkeit der Menschen, Wolf. Das schätze ich an einem Mann. Ich glaube, Sie zu brechen, wird mir noch mehr Vergnügen machen, als Roosevelt zu brechen. Das erinnert mich an etwas. Ich habe ja einen Hinweis für Sie.« Morgaunt lehnte sich vor und nahm einen Brief von seinem Schreibtisch. »Der ist heute Morgen mit der Post gekommen. Ich habe mich so angeregt mit Ihnen unterhalten, dass ich darüber ganz den Brief vergessen habe.«
    Wolf betrachtete das Gekritzel, das das ganze Blatt bedeckte. »Ein Bekennerschreiben von den Industriellen Magischen Werktätigen der Welt. Das kommt Ihnen ja gerade recht. Organisieren die nicht einen Streik in der Pentacle Textilfabrik?«
    »Oh ja«, murmelte Morgaunt. »Mit Ihnen werde ich mehr Spaß haben als mit Roosevelt.«
    »Soll ich jetzt etwa ins Hauptquartier der Industriellen Magischen Werktätigen gehen und einen armen Kerl dort als Mordverdächtigen verhaften?«
    »Würde ich Ihnen jemals vorschreiben, wie Sie Ihre Arbeit zu machen haben?«
    »Zuerst einmal muss ich zu diesen Leuten gehen und mit ihnen reden.« Wolf warf noch einmal einen Blick auf den Brief

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