Der Seelenfänger (German Edition)
Lilys Augen glänzten. »Ich wette, sie ist Kung-Fu-Meisterin. Vielleicht gehört sie sogar zu den Shaolin-Mönchen wie die aus
Schwert zu verleihen
oder
Exotische Abenteuer
.«
Sascha wollte Lily schon fragen, ob sie in ihrer Freizeit nichts anderes tue, als Groschenhefte lesen, aber da schloss Wolf zu ihnen auf.
»Das hat hervorragend geklappt«, meinte er. »Ihr habt beide einen guten Eindruck hinterlassen.«
Ehe Lily etwas sagen konnte, wischte Wolf alle Einwände weg. »Ihr beide habt einen schweren Tag hinter euch. Ich schicke euch heute früher nach Hause.«
Er führte sie durch den Innenhof bis zu der kleinen blauen Tür, durch die sie zuerst in Shens Reich getreten waren.
Doch kaum hatte Wolf die Tür geöffnet, da blieb Sascha und Lily vor Staunen die Spucke weg. Statt in den Hof mit dem Maulbeerbaum und den weißen Mäusen traten sie auf eine Straße im Norden New Yorks, um genau zu sein, auf die 72 nd Street, an der Ecke zur 5 th Avenue in unmittelbarer Nähe zum Haus der Astrals.
»Aber, das ist ja Zauberei«, rief Lily.
»Inquisitoren arbeiten in der Strafverfolgung, Lily. Unsere Aufgabe besteht darin, zu verhindern, dass Menschen Zauberkräfte und Magie zu kriminellen Zwecken verwenden. Wie sollten wir Erfolg haben, wenn wir selbst nicht auch über Magie verfügten?«
Lily machte ein entsetztes Gesicht. Offenbar hatte sie daran noch nie gedacht.
»Ist dir der Gedanke an Zauberei unheimlich? Hast du Angst davor? Wenn ja, dann wirst du kein guter Inquisitor werden.«
»Ach wo, nein, ich meine …« Lilys Gesicht war mittlerweile tiefrot, wenn Sascha auch nicht sagen konnte, ob aus Scham oder aus Wut. »Aber wenn Inquisitoren zaubern dürfen, wer wacht dann darüber, dass sie nichts Unrechtes damit anstellen?«
»Das ist eine sehr gute Frage«, erwiderte Wolf, »und ich wünschte, ich wüsste die Antwort darauf. Aber jetzt geh heim. Und entschuldige mich bei deiner gnädigen Frau Mutter wegen der zerkratzten Hände. Andernfalls wird sie den Polizeipräsidenten anrufen und sich über mich beschweren.«
Lily machte Anstalten, noch mehr zu fragen, doch dann zuckte sie nur die Schultern und wandte sich zum Gehen. Schon am Tor, drehte sie sich noch einmal um und ging, die Hand ausgestreckt, auf Sascha zu.
Sascha nahm ihre Hand, auch wenn es ihn etwas verlegen machte. Doch sie schien seine Verlegenheit nicht zu bemerken. Ihr Händedruck war kräftig und sie sah ihm offen in die Augen.
»Vorhin das mit den Hexern hast du klasse gemacht. Du solltest öfter aus dir herausgehen. Du lässt dich unterbuttern.«
»Aha, du meinst, ich sollte öfter Streit mit Straßenbanden suchen.«
Sie grinste. »Das Leben ist zu kurz, um einer Keilerei aus dem Weg zu gehen.«
Jetzt musste auch Sascha grinsen, wurde aber sofort wieder ernst, als er sich von Wolf beobachtet sah. Er räusperte sich umständlich.
»Es tut mir leid wegen deiner Hand.«
»Hah! Der andere hat auch sein Fett abgekriegt!«
Lily ging durch das Tor und im nächsten Augenblick sah er sie die Marmortreppe zum Haus der Astrals hinaufstürmen.
»Und jetzt zu Ihnen, Mr Kessler«, sagte Wolf aufgeräumt. »Wohin soll es gehen?«
Sascha geriet in Panik. »Ja, äh, das heißt …«
»Hast du etwa Angst vor ein bisschen Zauberei?«
»Eigentlich schon.« Sosehr es Sascha auch hasste, Wolf glauben zu machen, er fürchte sich vor Magie, so sicher wusste er, dass er damit die beste Ausrede gefunden hatte. »Würden Sie mich einfach zur nächsten U-Bahn-Station bringen? Wenn das nicht zu viel verlangt ist.«
Wolf lächelte ihn so freundlich an, dass Sascha gar nicht wusste, wie ihm geschah. Offenbar empfand Wolf echte Sympathie für ihn, und nun fühlte sich Sascha schuldig, weil er ihn belog.
»Nein, Sascha«, sagte Wolf sanft, »das ist nicht zu viel verlangt. Im Übrigen möchten Erwachsene gern gefragt werden. Wir fühlen uns dann wichtig.«
Sascha war sich sicher, dass Wolf ihn ansah, aber er brachte es nicht über sich, seinen Blick zu erwidern.
»Du gehörst jedenfalls nicht zu denen, die Erwachsene mit ihren Problemen behelligen. Schade. Du solltest es trotzdem hin und wieder tun.«
Beide schwiegen, und je länger das Schweigen anhielt, desto mehr hatte Sascha das Gefühl, im nächsten Augenblick hysterisch losheulen oder loslachen zu müssen.
»Ein Mann löst seine Probleme selbst!«, platzte er schließlich heraus. Das war ein Spruch, der von seinem Vater hätte stammen können.
»Aha, ich verstehe. Und wenn ein Mann Freunde hat,
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