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Der Seelenfänger (German Edition)

Der Seelenfänger (German Edition)

Titel: Der Seelenfänger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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ihn gar nicht gesehen, eilte weiter und versuchte Zeit zu gewinnen, während er überlegte, wie er sich verhalten sollte. Als er das Ende des Häuserblocks erreicht hatte, stand sein Plan fest. Er drehte sich nach seinem Verfolger um und sah ihn herausfordernd an, als wolle er den Kerl fragen, was ihm einfalle, sich an seine Fersen zu heften. Und als der Mann sich abwandte, flitzte Sascha um die Ecke und suchte das Weite.
    Nur, dass er statt wegzulaufen in den Stallungen hinter den Wohnhäusern untertauchte und im ersten Hof, an dem er vorbeikam, über die Pforte sprang und eine Abkürzung durch den rückwärtigen Zufahrtsweg nahm, um so hinter seinen Verfolger zu gelangen.
    So hatte er es zumindest geplant, doch als er wieder auf die Straße schlitterte, war dort kein erwachsener Chinese zu sehen.
    Dort stand nur Shen, die Hände in den Hosentaschen, und lachte ihn aus.
    Er hätte sich selbst in den Hintern treten können.
    »Hast du wirklich nicht gemerkt, dass ich es war?«, fragte sie, als ihr schallendes Lachen zu einem Gekicher abgeflaut war. »Was machst du überhaupt? Du rennst den ganzen Nachmittag herum wie ein verirrter Hund.«
    »Ich vertrete mir nur ein wenig die Beine.«
    »Ist das Wetter dafür nicht ein bisschen feucht?«
    »Ich, äh …«
    »Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich gesagt, du inspizierst Häuser für Einbrüche.«
    »Aber Shen!«
    »So sieht es aber aus. Und mit der Einschätzung bin ich nicht allein, schau mal dort, am Ende des Häuserblocks.«
    Sascha lugte an Shen vorbei und erblickte zu seinem Entsetzen einen korpulenten Polizisten an der Straßenecke, der misstrauisch die beiden verdächtigen Gestalten beäugte, die sich in sein Revier gewagt hatten.
    »Sag mir doch einfach, was los ist«, schlug Shen vor. »Willst du es nicht lieber mir anvertrauen, statt am Ende alles dem Polizisten sagen zu müssen?«
    Stockend erzählte Sascha von seinem Besuch in Lilys Haus, von Lilys Mutter und wie er vor dem Chauffeur der Astrals dastehen würde. »Deshalb brauche ich unbedingt ein Haus«, schloss er.
    »Ich verstehe nicht recht«, sagte Shen sanft. »Hast du keine Bleibe?«
    »Doch, aber …«
    »Aber du schämst dich dafür.«
    Er sah sie aufgebracht an, doch seine wütende Erwiderung erstarb, als er ihren verständnisvollen Blick bemerkte.
    »Ich …, ja.«
    »Weshalb denn? Was wäre denn so schlimm daran, wenn er dich dort absetzt, wo du wohnst?«
    Wäre ihm diese Frage von irgendeinem anderen Erwachsenen gestellt worden, hätte das Sascha auf die Palme gebracht, aber bei Shen hörte er echtes Mitgefühl heraus.
    »Was so schlimm daran wäre?« Sascha sah schon Lilys ungläubigen Gesichtsausdruck, den verächtlichen Blick des Chauffeurs, hörte das Gejohle der Straßenkinder in der Hester Street, die die Ankunft jedes Automobils feierten, als fielen Pessach, Chanukka und der Unabhängigkeitstag auf den gleichen Tag. Und dann noch die Mitleidsmiene, die Lily aufsetzen würde, wenn sie sähe, in welchen Verhältnissen die Kesslers lebten. »Alles, nur nicht das!«, sagte Sascha verzweifelt. »Lieber sterben!«
    Erst schien es, als wollte Shen ihn noch etwas fragen, doch dann zuckte sie die Schultern. »Sterben lassen können wir dich nicht«, sagte sie. »Komm mit, ich habe eine Idee.«
    Zehn Minuten später standen sie vor den Eingangsstufen zu einem Haus, wie Sascha es gesucht hatte. Hübsch, aber nicht zu hübsch. Behaglich bürgerlich, aber nicht protzig, damit es noch glaubwürdig schien. Vor allem aber stand es in der Mitte einer Reihe ganz ähnlicher Backsteinhäuser, sodass es selbst einer scharfen Beobachterin wie Lily schwerfallen würde, sich an das richtige Haus zu erinnern, wenn sie es wiederfinden wollte.
    Shen schritt schnurstracks auf die schmucke rote Haustür zu und betätigte die Klingel. Sascha wurde es heiß. »Werden wir nicht Ärger mit dem …, na, du weißt schon …, bekommen?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Leute, die die Polizei auf uns hetzen würden, sind um diese Tageszeit nicht daheim.«
    Das klang nicht sehr beruhigend. Und die finstere Miene der stämmigen Hausangestellten, die auf Shens Klingeln öffnete, wirkte sogar bedrohlich. »Was um alles in der Welt wollt ihr denn hier?«, bellte sie und starrte die beiden von oben herab an.
    »Ich wollte James sprechen«, behauptete Shen ganz gelassen.
    Die Hausangestellte rümpfte die Nase. »Wie kann man nur auf die Idee kommen, in einem anständigen Haus dürfe der Butler privaten Besuch an der Haustür

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